1610 02 - Kinder des Hermes
meines Rocks. Eine mit Perlen geschmückte Kordel hing von meinem Gürtel – sie sollte die Tränen symbolisieren, welche die Geschichte vergießt oder bringt. Ich holte einen Dolch aus einer der Truhen und band ihn an die Kordel, sodass er versteckt und griffbereit zugleich war.
»Besser als nichts, nehme ich an.« Dariole zuckte mit den Schultern. Sie grinste und nickte in Richtung Hocker. »Ich wollte es ja eigentlich nicht sagen, Messire, aber Damen spreizen im Sitzen nicht die Beine. Oder falls doch, dann sind sie keine Damen …«
»Auf der Bühne ist das wohl egal«, erwiderte ich steif.
»Und Ihr solltet mehr aus der Hüfte gehen, dann würdet Ihr mehr wie eine Frau aussehen.«
Ich schluckte einen Fluch hinunter. »Mademoiselle, offenbar geht der Falsche von uns beiden auf die Bühne.«
»Oh, das glaube ich nicht. Ihr seit viiiel hübscher, als ich es bin … auch wenn Ihr ein wenig wie eine Amazone ausseht.«
Ich erkannte das Lächeln, das um ihre Mundwinkel spielte. Seit sie hierher gekommen ist, habe ich es kaum gesehen. Paradoxerweise besserte sich meine Laune bei dem Anblick.
»Mademoiselle, ich bezweifele, dass sich in diesem Wasser je etwas Kurioseres gespiegelt hat«, bemerkte ich spöttisch.
Der schwarze Tümpel zeigte ein perfektes Bild von uns, Seite an Seite. Ein junger Page, sechzehn oder siebzehn Jahre alt, mit großen Augen und losem Mundwerk, das dieses eine Mal jedoch geschlossen blieb, und daneben – in einem Juwelen besticktem Mieder und mit schwerem Reifrock wie Englands Gloriana – stand Clio, die Muse der Geschichtsschreibung.
Einem Impuls folgend rieb ich mir über das rasierte Kinn. Clios Gesicht war angemessen kahl. Ich fühlte mich irgendwie nackt. Auch war Clios Gesicht zu groß und zu zerklüftet für eine Frau, dachte ich, als ich ins Wasser hinunterblickte.
Und über diesem Gesicht befand sich ein schier unglaublich komplexes Nest von Haaren, zusammengehalten von einem goldenen, mit Glasperlen verzierten Netz, das mit Nadeln so fest auf meinem Kopf verankert war, dass es schmerzte. Die ganze Konstruktion wurde dann von einer Tiara aus falschen Perlen und Edelsteinen an Drähten gekrönt, was mir so etwas wie einen Heiligenschein verleihen sollte.
»Wahrscheinlich wird das der einzige Heiligenschein bleiben, den ich je bekommen werde«, bemerkte ich.
»Sehr hübsch! Wirklich.« Darioles Grinsen spiegelte sich im Wasser. Erstaunt sah ich, dass genauso viel Wehmut wie Gehässigkeit darin lag. Beneidet sie mich darum, die Frau spielen zu dürfen?, fragte ich mich verwundert.
»Ich wünschte, ich könnte Euch so an unserem Hof einführen«, sagte sie. »An König Ludwigs Hof, heißt das. Inzwischen dürfte er das wohl sein.«
»Der Hof der Medici.« Um der Schminke willen versuchte ich, nicht das Gesicht zu verziehen, und ich fragte mich plötzlich, wie viele scheinbar gefühllose Schönheiten an Heinrichs Hof sich aus eben diesem Grunde so geschminkt hatten. Dass so eine Kleinigkeit eine so große Wirkung haben konnte …
»Auch fände ich es amüsant, wenn man Euch so bei Zaton sehen würde. Arnaud, André, Maignan, Sully …« Unvermittelt hielt sie in ihrer Aufzählung inne und sagte in gänzlich anderem Tonfall: »Tut mir Leid, Messire.«
Als ich meine Stimme wieder im Griff hatte, erwiderte ich: »Das wäre dann wohl die zweite Entschuldigung, die ich von Mademoiselle Dariole bekommen habe. Macht das bitte nicht noch einmal. Der Schreck könnte mich umbringen.«
Sie lächelte. Ich schaute nicht sie, sondern unsere Spiegelbilder an. Zwei weiße Gesichter, die sich auf dem schwarzen Wasser abzeichneten. Es sah aus, als würde sie mir kaum bis zur Brust reichen.
Ich wandte mich von dem Tümpel ab und betrachtete Darioles Profil.
Wie hatte ich nur bis jetzt übersehen können, wie schön sie war?
Zugegeben, sie besaß nicht jene Art von Schönheit, wie sie sich einem schon bei oberflächlicher Betrachtung erschließt. Doch sie hatte einfach etwas – wie zum Beispiel die weit auseinander stehenden Augen, die im Kerzenlicht fast schwarz wirkten, wenn sie mich anschaute.
»Unfälle passieren nun einmal, Mademoiselle.« Meine Stimme klang rau in meinen eigenen Ohren. »Wenn ich Euch schon zu nichts anderem überreden kann – wie etwa, Wookey augenblicklich zu verlassen, bis alles vorüber ist –, dann vielleicht doch dazu, Euch von den Höhlen fernzuhalten. Wartet draußen, und führt Hauptmann Spofforth hierher.«
»Das kann Saburo-san genauso gut
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