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1610 02 - Kinder des Hermes

1610 02 - Kinder des Hermes

Titel: 1610 02 - Kinder des Hermes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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Falls sie das quälen sollte …
    »›Als in Tapferkeit stand der Geschichte Muse …‹ Mich dünkt, das wäre richtiger, Messire.« Dariole grinste mich fröhlich an, weil sie mich hatte korrigieren können.
    Im einen Augenblick sah es so aus, als wäre ihr nie etwas geschehen, und im nächsten …
    Ned Alleyne wischte sich den Schweiß von seinem roten Gesicht und funkelte Dariole an. »Wenn Ihr die Rolle so gut kennt, Master Page, dann hätten wir Monsieur Rochefort wohl gar nicht bemühen müssen, hm?«
    Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck unschuldiger Verständigkeit an. »Ich kenne nicht den ganzen Text, Master Alleyne, und mein Englisch ist nicht sonderlich gut. Mir würde es nicht gefallen, eine Rolle auf der Bühne zu spielen, die ich nicht kenne, und Zeilen zu sprechen, die ich nicht geprobt habe …«
    Unter ihrer unschuldigen Fassade verbarg sich Kummer, und ich fragte mich, warum Master Alleyne das nicht sah. Der Theaterdirektor grunzte zustimmend und wandte sich von uns ab. Über seine Schulter hinweg sah ich, wie die Augen der jungen Frau förmlich glühten. Rasch legte sie die Hand auf den Mund, doch nicht rasch genug. Deutlich sah ich das Lächeln, das sie sich einfach nicht verkneifen konnte.
    Der König, dachte ich grimmig, während ich versuchte, mich an die nächsten Zeilen der Muse zu erinnern und die Schneider mir fast ehrfürchtig das Kostüm anpassten. Ich spiele diese Rolle, um einen Mann zu beschützen, den ich am Leben erhalten muss. Das ist nichts, wofür ich mich schämen müsste!
    Nachdem die Schneider Maß genommen hatten, wurde mir gestattet, meine Stiefel anzuziehen und die Strumpfhose zuzubinden – was sich ohne Überhose ein wenig seltsam anfühlte. Keine zwei Worte im nächsten Vers war ich bereits in Leinen gehüllt. Der Schneider und sein Lehrling zogen daran herum und formten nach und nach ein Frauengewand daraus.
    Der Schneider lächelte mich von unten her an, zupfte das feine Leinen an meiner Schulter zurecht und schickte sich an, mir die Ärmel anzuziehen. »Hebt bitte den Arm, Monsieur.«
    Das tat ich, und der Mann packte ihn mit beiden Händen und bog ihn durch. Im selben Augenblick hörte ich die Naht reißen.
    Der Schneider schüttelte den Kopf, und sein Lächeln wurde angestrengt. »Wir werden das anpassen. Jetzt …«
    Er zog die Schnürbinden an den Handgelenken zusammen. Der Kragen stand noch weit offen. Ned Alleyne beugte sich zu mir und kniff mich ohne ein Wort der Entschuldigung in die obere Brust.
    »Macht das Mieder so, dass nicht allzu viel herausschaut«, sagte er. »Selbst mit einem entsprechenden Polster wird da nicht viel sein. Und rasiert werden muss er auch noch.«
    An der Tür machte Dariole ein ersticktes Geräusch. Ich drehte mich nicht zu ihr um.
    »Rasieren?«, brachte ich mühsam hervor.
    »Ja, Monsieur, das da machen wir weg.« Alleyne deutete auf meine Schultern und meine Brust, wo dunkles Haar den Körper bedeckte. »Zu meinem Bedauern muss auch Euer Schnurrbart und Bart …«
    »Nein!«
    Ich fluchte. Hinter mir schluckte Dariole erneut.
    »Aber, Clio, eine Dame … Eine Dame kann doch keinen Bart tragen …!« Alleyne schluckte ebenfalls, nur weniger aus Belustigung als vielmehr, weil ich ihn am Kragen gepackt hatte. »Rochefort …!«
    »Ich entschuldige mich.« Es kostete mich einiges an Mühe, meine Faust wieder zu öffnen und ihn loszulassen. »Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht. Schließlich hat man aber ja auch nie von mir erwartet, eine Rolle auf der Bühne zu übernehmen.«
    Ich hatte wohl gedacht – falls ich überhaupt etwas gedacht hatte –, dass man das meiste irgendwie mit Schminke erledigen konnte. Offensichtlich war das jedoch nicht der Fall. Seit ich in Mademoiselle Darioles Alter war, habe ich keine glatten Wangen mehr gehabt.
    Dass ich ihr weiter den Rücken zukehrte, half mir nicht im Mindesten. Deutlich fühlte ich ihre Belustigung, als würde sie diese ausstrahlen wie ein Herd die Wärme.
    Alleyne rollte mit den Schultern und zupfte sein Wams wieder zurecht. Der Schneider nahm mir das Kleid ab, änderte es mit einem halben Dutzend Stichen und warf es mir wieder über den Kopf. Es roch nach mehreren Lagen Parfüm. Ich bemerkte, dass ich mich entschlossen zur vollen Größe aufgerichtet hatte, um mit meiner Haltung nur ja nicht den Eindruck eines Lustknaben zu erwecken.
    Meine Beinmuskeln schmerzten immer noch dabei. Die ersten paar Nächte hatte ich versucht, den Schmerz mit Branntwein zu betäuben. Fleischwunden

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