1610 02 - Kinder des Hermes
ihr nicht vorstellen. Aber es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie nur über unzulängliche Informationen verfügte … Niemand kann alle Möglichkeit berechnen.« Der Wind wehte den Sumpfgeruch zu mir heran, und die Schatten der Bäume tanzten über den Weg. »Falls das Haus de Austria oder die Gesellschaft Jesu irgendwann in den letzten zehn Jahren einen der Giordanista verhaftet hat … um ihn dann zu verstecken …«
»Was?«, verlangte Dariole frustriert zu wissen.
Sie verlangt, meine Gedanken zu erfahren, als hätte sie ein Recht dazu, als wären wir enge Freunde …
Ich wandte mich von ihr ab und schaute zu den Baumwipfeln hinauf. Wenn ich ihr nicht ins Gesicht sah, vielleicht konnte sie dann nicht in meinem lesen.
»Mademoiselle, gehen wir einmal davon aus, dass wirklich nur Robert Fludd und Suor Caterina übrig geblieben waren. Caterina ist nun tot, und das wäre dumm: pure Verschwendung.«
Dariole machte ein protestierendes Geräusch, doch ich ignorierte es.
»Wenn dem so sein sollte, dann ist Robert Fludd nun der letzte lebende Student von Giordano Bruno, der letzte Giordanista. Sicher, andere Männer könnten diesen ›Regiomontanus‹ gelesen und Brunos Wessen wiederentdeckt haben … aber das könnte genauso gut nicht passiert sein. In jedem Fall wissen wir, dass ein Mann über dieses Wissen verfügt. Also …«
Ich drehte den Kopf, um mich ihrem klaren, kalten Blick zu stellen.
»… Also? Zu was macht ihn das dann, Mademoiselle? Was ist Robert Fludd?«
Dariole antwortete: »Der Mann, den ich töten werde.«
»Nein.«
Blanker Schmerz zeigte sich auf ihrem Gesicht und verwandelte es in eine wächserne Totenmaske.
»Nein«, wiederholte ich. Ich hasste, was ich nun sagen musste, aber es war einfach zu offensichtlich. »Robert Fludd ist ein Mann, den man benutzen muss.«
Darioles Blick jagte mir einen kalten Schauder über den Rücken und vermittelte mir ein Gefühl, als würde ich fallen … ein Gefühl, das ich bei jedem anderen Mann ›Angst‹ genannt hätte. Ich habe die Abmachung zwischen uns gebrochen. Vielleicht für immer.
Ich bemerkte erst, dass Saburo und der König wieder zu uns zurückgekommen waren, als James' Schatten auf mich fiel.
»Nun, Master de Rochefort«, sagte der König. »Da vorn geht ein Weg ab, von wo aus wir Dächer sehen können. Sollen wir weitergehen?«
Ich zwang mich dazu, Selbstbewusstsein zu zeigen, und verneigte mich vor Seiner Majestät. »Ich denke schon. Sire, laut Monsieur Anselm ist dieses Bridgwater ein Hafen, der an Bedeutung nicht weit hinter Bristol zurücksteht. Wenn Ihr meinen Rat hören wollt, dann sollten wir nicht erst von dort nach Bristol, sondern auf direktem Weg nach London fahren.«
Rochefort: Memoiren
Einunddreißig
Die Martha besaß eine Besatzung von achtzehn Mann. Sie war ein kleines Schiff von gerade fünfzig Tonnen mit nur einem Mast und einem altmodischen Bug mitsamt Kastell.
Königliche Bettler können nicht wählerisch sein, sinnierte ich und beobachtete, wie Dungeness im Norden an uns vorüberzog.
Einer der Seemänner war von wahrhaft gigantischer Größe. Ich hatte ihm sein bestes Wams abgekauft (zu einem unverschämten Preis), und das hing nun angenehm locker um meine Schultern. Ein weiterer Seemann erwies sich als ungewöhnlich geschickt mit der Nadel, und von diesem hatte ich mir dann die ausladenden Röcke der Muse zu einer echten Hose umnähen lassen, zumal teure Seide auch noch recht gut als Hose aussah.
»Jener französische Höfling ist ein wenig zu sehr um seine Kleidung besorgt«, bemerkte König James fröhlich zu Saburo, als ich unsere kleine Kabine im Heck betrat und mich unter der umherschwingenden Laterne ducken musste. James Stuart kicherte. »Master de Rochefort, Ihr seid doch gar nicht mehr so jung, als dass Ihr Euch um die Mode sorgen müsstet. Ordentlich geschrubbt würde Master Dariole wohl eine gute Figur abgeben, denke ich. Ein König sollte sich an seinem Hof mit tapferen, jungen Männern umgeben.«
Dariole, die aus dem Fenster aufs Meer hinausgeblickt hatte, verneigte sich vor dem König für sein joviales Kompliment und murmelte irgendetwas von frischer Luft an Deck. Ich trat zur Seite, damit sie an mir vorbei konnte. Sie hob nicht den Kopf, um mich anzuschauen.
Wäre es möglich gewesen, ich hätte sie ein wenig geneckt. Ich hätte sie gefragt, ob sie glaube, dass auch Mademoiselle de Montargis de la Roncière eine solche Zierde für den Hof sein würde (der Schotte schien sich
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