1610 03 - Soehne der Zeit
Mademoiselle Dariole.
»Glaubst du, dass sie es ist?«, verlangte ich von Gabriel zu wissen.
»Es klang nach deiner Beschreibung des Jungen … des Mädchens«, korrigierte sich Gabriel Santon.
Kurz senkte sich Schweigen zwischen uns, nur unterbrochen vom Bellen eines Hundes, der vom wütenden Gebrüll eines Händlers verfolgt durch die Menge stürmte. Gabriel legte die Hand auf den Mund und stieß ein gedämpftes Heulen aus.
»Ein Mädchen!«, brachte er schließlich mühsam hervor. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mehreren nihonesischen Passanten gegenüber bemerken müssen, dass mein nambanjin - Diener in keinster Weise krank oder verrückt sei.
»Er ist schlicht ein wenig zu gut gelaunt«, knurrte ich. »In seinem Fall ist die Bezeichnung ›südlicher Barbar‹ vielleicht gar nicht mal so schlecht.«
Gabriel nahm die Hand herunter und legte den Arm über den Bauch. Ich sah, wie er sich auf die Lippe biss.
»Lach ruhig«, sagte ich säuerlich. »Wenn du es nicht tust, wirst du mir sonst noch platzen.«
»Ich glaube es einfach nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht dass du je der Hellste gewesen wärst, Raoul, aber ein Junge, der ein Mädchen ist … Mein Gott, hat dich denn nie jemand irgendetwas gelehrt?«
»Ich habe wohl zu viel Zeit in der Armee verbracht. Da verblödet man.«
»Das stimmt.« Gabriel musterte mich theatralisch von Kopf bis Fuß. »Ansonsten wäre ja auch ich kaum hier, oder? Irgendetwas muss ja der Grund dafür sein.«
Ich beschattete meine Augen, als wir das Ende der Landzunge erreichten. Jenseits des Strandes, in der Hafenbucht von Nagasaki, schaukelte eine niederländische Karracke mit gerefften Segeln sanft auf dem glitzernden Wasser. »Außerdem, Gabriel«, sagte ich, »scheint auch dir nicht aufgefallen zu sein, dass er eine sie ist.«
Er prustete. »Eine Frau!«
»Ich darf wohl davon ausgehen, dass ich mir das weiter werde anhören müssen, da du dich anscheinend endlos darüber amüsieren kannst.«
Gabriel fuhr sich mit der Hand durch das dünner werdende Haar und setzte sich den Strohhut wieder auf. Ich sah, wie das breite Grinsen aus seinem Gesicht verschwand, doch fröhlich war er immer noch.
Das ist die Erleichterung, sinnierte ich, blieb stehen und beobachtete eine Gruppe von Samurai-Hafenbeamten, die mit den Offizieren des rangaku -Schiffes diskutierten. Offenbar machten sie es ihnen schwer; ein Mann muss nicht alles von einer Sprache verstehen, um das zu sehen.
Weder Gabriel noch ich konnten das glauben: dass wir so weit gekommen waren – dass wir so lange überlebt hatten –, um sie zu finden, als die Reise zu Ende war …
Die See ist groß genug, dass zwei Männer, die sich einmal getrennt haben, einander niemals wiedersehen werden. Ich hätte die gesamten Mittel, die Cecil uns bei unserem Aufbruch aus England so großzügig gewährt hatte, darauf verwettet, dass Robert Fludd und der Samurai sich in Lissabon einschiffen wollten; dass Mademoiselle Dariole auf den gleichen Gedanken kommen würde, darauf hatte ich mich jedoch nicht verlassen können. Als sich die Bewegungen des Schiffes unter meinen Füßen veränderten – ich bin erfahren genug, um zu spüren, wenn ein Fahrzeug die offene See erreicht –, war der Himmel dunkel genug, um die Sterne zu enthüllen, während sich hinter uns noch die letzten Sonnenstrahlen in den Fenstern von Greenwich spiegelten. Ich fragte mich, ob ich, ohne mir dessen bewusst zu sein, Mademoiselle de la Roncière vielleicht zum letzten Mal getroffen hatte.
Stürme, Eis, Flauten, Piraten, Hunger und den Kurs verlieren … Sie reist allein. Vielleicht schneidet ihr schon jemand die Kehle durch, bevor sie Rochester erreicht hat. Zwölftausend Meilen müssen die niederländischen und spanischen Schiffe segeln, bevor sie Japan erreichen …
Auf der Fahrt nach Lissabon hatte ich mit einer Vorahnung dieser zwölftausend Meilen geschlafen und mir ständig den schwarzen Abgrund unter uns vorgestellt, von dem uns nur ein paar Holzplanken trennten. Wenn ein Mann in dieser Tiefe versuchte zu atmen und Wasser in die Lunge bekam …
Als ich aus einem Albtraum hochschreckte, in dem ich Dariole in der Bucht von Biskaya gesehen hatte, das im Wasser treibende Haar vorm Gesicht, legten wir gerade in Lissabon an. Dort gab es für meinen Geschmack bei weitem zu viele Jesuiten. Ich machte mich daran, Informationen zu sammeln, und hörte in der Tat von zwei Männern, auf die Fludds und Saburos Beschreibung passte. Da sie besseres Wetter
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