1610 03 - Soehne der Zeit
Herberge oben auf dem Holländerhügel. Dort ist es gar nicht so schlecht, kleine Mademoiselle.«
Sie blickte an mir vorbei zu ihm. »Du bist Gabriel, nicht wahr? Ich erinnere mich an dich.«
Gabriel schaute sie auf die gleiche Art an, wie er es bei jungen Rekruten in den Vereinigten Provinzen getan hatte, und sie wiederum grinste ihn frech an, halb Göre, halb junge Frau. Er schnaufte. »Ihr seid nicht überrascht … Ihr habt Euch schon gedacht, dass Monsieur Raoul hier ist, nicht wahr?«
Dariole neigte den Kopf ein wenig zur Seite, in jener typischen Geste, die ich mir so oft vorgestellt hatte. »Wenn ich darüber nachgedacht hätte«, erwiderte sie, »wäre mir vermutlich klar gewesen, dass er vor mir hier ankommt. Das Glück ist nun einmal so.«
Als wäre alles besprochen und abgemacht, schnappte Gabriel sich ihr Bündel. »Ich nehme das.«
Er legte es sich über die Schulter und nickte so knapp mit dem Kopf, dass es in Paris nicht als Verbeugung eines Dieners durchgegangen wäre.
Dariole blickte ihn einen Augenblick lang an. »Also gut. Geh voraus.«
Gabriel drehte sich um und marschierte in Richtung unserer Unterkunft.
Wenn ich nicht stehen gelassen werden wollte, musste ich mich ebenfalls in Bewegung setzen. Mit zwei langen Schritten war ich neben ihr. »Mademoiselle … Eure Reise … Eure Gesundheit …«
Gnädigerweise fiel sie mir ins Wort und hielt mich so davon ab, weiterzuplappern.
»Rochefort, da Ihr nun einmal hier seid … haben wir ein Problem.«
Wenigstens teilweise kehrte der gesunde Menschenverstand wieder zu mir zurück. »Das nehme ich an. Ihr habt die Absicht, Robert Fludd zu töten.«
Als Antwort nickte sie bloß. Ich glaubte, unter ihrer brüsken Oberfläche so etwas wie Aufregung zu bemerken – ob der Neuheit Nihons vielleicht. Dariole ließ ihren Blick über die grüne hügelige Landschaft und die Berge dahinter schweifen. Kein Haus in der Stadt war höher als ein Stockwerk, und überall standen Bäume zwischen den Gebäuden. Die Straßen zwischen den Spitzgiebeldächern waren brechend voll: Es wimmelte nur so von Männern und Frauen – die ich aufgrund ihrer Kleidung nicht immer voneinander unterscheiden konnte –, Kindern und Hühnern. Letztere waren jenen in Southwark nicht unähnlich. Erst als ich sah, wie Dariole all das neugierig betrachtete, wurde mir bewusst, wie sehr ich die Gerüche von Paris oder London vermisste, die so viel anders waren als die von Nihon.
Plötzlich sprang Dariole einen Schritt zur Seite, um Männern auszuweichen, die nicht mehr als das fundushi genannte Lendentuch trugen und schwere Kisten an Stangen zwischen sich schleppten. Sie drehte sich um und blickte ihnen kurz hinterher.
»Das ist die richtige Art, sich in dieser Hitze zu kleiden! Hey, vielleicht sollte ich das auch tun …«
Einen Augenblick lang sah ich das vertraute Zucken um ihre Mundwinkel – ob meiner Empörung, nahm ich an. Dann drehte sie sich wieder um und ging neben mir weiter.
»Ihr werdet genügend Zeit gehabt haben, um noch einmal darüber nachzudenken.« Ich schaute zu ihr hinunter. »Ich möchte keinen Streit mich Euch …«
»Dann lasst es.«
»Ihr wisst, dass ich Euch nicht erlauben kann, Monsieur Fludd zu töten!«
»Ihr könnt es mir nicht ›erlauben‹?«
Sie atmete tief durch und presste die Lippen aufeinander. Bedächtig sagte sie: »Er hat mich vergewaltigen lassen, und dafür beabsichtige ich, ihn zu töten. Ich bin nicht den ganzen weiten Weg nur wegen einer Luftveränderung gereist! Ist das klar?«
Nachdem ich Europa vor nunmehr gut neun Monaten verlassen hatte, bereiteten die höfischen Manieren Fontainebleaus und St. Germains ein seltsames Unbehagen. Also schob ich alle Manieren zugunsten der Ehrlichkeit beiseite und sagte: »Mademoiselle, ich weiß, was es bedeutet, jemanden um so etwas zu bitten. Wenn Ihr Eure persönlichen Interessen einen Augenblick außer Acht lassen könntet …«
»Persönliche Interessen!«
»Hey!«
Gabriel Santons dröhnende Stimme schnitt ihr das Wort ab, und er richtete seinen dicken Zeigefinger auf sie. Dariole nahm die Hand vom Heft ihres Rapiers, offenbar erstaunt.
Ich bemerkte, dass Gabriel auch mich anfunkelte.
»Schluss jetzt!«, sagte er knapp. »Raoul, warum gehst du nicht vor und schaust nach, ob die Mama-san noch ein Zimmer für die Mademoiselle hier hat?«
Ich blieb mitten auf der Straße stehen, überragte alle anderen um mich herum und starrte ihn an.
Dariole legte die Hand auf den Mund. Mein Herz
Weitere Kostenlose Bücher