1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
auf dem alten Gesicht. »Und die schwarze Kunst der Mathematik.«
»Was Euch dann zur Prophetie geführt hat.«
»Ja.«
Dass Fludd und diese Frau in den gleichen Begriffen redeten, hat nur wenig zu bedeuten, dachte ich. Das ist nichts Ungewöhnliches: Solange ich denken kann, wimmelt es in Frankreich und den Niederlanden geradezu von Sekten. Wiedertäufer, Brownisten , Kabbalisten, Puritaner – und jetzt auch noch Mathematiker.
Halb im Scherz fragte ich: »Und was wollt Ihr mir erzählen, um mich davon zu überzeugen, dass Ihr die Zukunft kennt?«
Sie blickte mich streng an – so streng, wie es einer Nonne anstand.
»Ich kann Euch sagen«, antwortete sie, »was mit Signore Gabriel Santon geschehen ist.«
Rochefort: Memoiren
Einundzwanzig
Gabriel?
Das ließ mich erstarren wie ein Schlag gegen die Brust.
»Madame, Ihr habt zehn Jahre in dieser Höhle verbracht? Das glaube ich nicht! Offensichtlich seit Ihr auf Eurem Weg nach England durch Paris gekommen.«
Sie blickte mich trotzig an.
»Ihr könnt mir von Gabriel erzählen«, fügte ich spöttisch hinzu, »aber ich habe keine Möglichkeit, die Wahrheit Eurer Worte zu überprüfen, worauf Ihr – wie ich vermute – auch baut.«
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Ich weiß, wie das aussieht, Valentin. Ich dachte nur, dies sei die eine Sache, die Ihr nicht wissen könnt, aber wissen wollt – die eine Sache, die ich Euch zum Dank sagen kann.«
»Zum Dank?«, erwiderte ich ungläubig.
»Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass Ihr hierher kommen würdet. Aber viel geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr eine alte, verrückte Frau nicht töten würdet … Ich würde gerne etwas für Euch tun, Valentin.«
Die Kälte der Höhle drang langsam in mein Fleisch.
Wenn ich sie nach Neuigkeiten über Gabriel fragen würde, würde das aussehen, als glaubte ich diese ganze Vorhersagerei.
Ich empfand einen seltsamen Widerwillen, mir ihr Vertrauen auf diese Art zu erschleichen, auch wenn sie verrückt genug sein mochte, mir zu glauben.
»Ihr und Robert Fludd …«, begann ich hartnäckig.
Sie zuckte mit den Schultern. »Wir sind beide Studenten von Nolan, von Giordano Bruno. Es hat noch weitere Studenten gegeben. Rom hat uns die ›Giordanista‹ genannt. Ich glaube, sie hielten uns für eine besondere Spezies der Gesellschaft des Hermes.«
Nun zuckte ich mit den Schultern. »Madame, das Problem bei magischen Geheimbünden ist, dass sie vielleicht falsche Ansichten über die Natur der Welt haben mögen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie deshalb nicht existieren – oder dass manche Menschen keine Taten in dem Glauben folgen lassen, sie seien auf der richtigen Seite. Wenn Ihr, Fludd und ein paar andere Männer an die Ketzerei dieses Bruno glaubt … Nun, dann tut das meinetwegen, aber wenn ich Euch bitten würde, mir über das Schicksal meines Dieners Auskunft zu geben, würde das implizieren, dass ich Eure Ideen anerkenne und nicht nur an Eure schlichte Existenz glaube. Madame, das ist mir bedauerlicherweise nicht möglich.«
Die alte Frau legte die Finger auf meinen Arm, unmittelbar über dem Schaft meines Handschuhs. Ich fühlte den Druck auf meine Manschette.
»Ihr müsst Euch nicht meinem Glauben anschließen, Valentin. Ihr könnt das einfach als das Gerede einer verrückten, alten Frau abtun. Gott weiß, dass die übrigen Giordanista inzwischen dem Wahnsinn oder dem Alkohol erlegen sind oder gar die Todsünde des Selbstmordes begangen haben …«
Sie schien sich zu sammeln.
»Als König Heinrich starb, hat Gabriel Santon zunächst Zuflucht in der Bastille beim Duc de Sully gefunden. Nun ist er allein im Chatelet. Valentin, nein! Er ist weder verletzt, noch setzt man ihn einem hochnotpeinlichen Verhör aus.« Die alte Frau packte mich kurz fester und ließ meinen Arm dann los. »Die Königin hat ihn bei der ersten Parlamentssitzung aus dem Gefolge des Herzogs herausgeholt. Das war am Tag nach dem Attentat. Im Augenblick wagt sie es nicht, die Situation zwischen sich und dem Herzog noch weiter zu verschärfen, und deshalb hält sie Santon einfach nur gefangen, während der Herzog seine Rückkehr verlangt.«
»Für eine Frau, die die letzten zehn Jahre in einer Höhle verbracht hat, seid Ihr bemerkenswert gut über die französische Politik informiert.«
Sie lächelte mich schelmisch an. »Das bin ich. Aber ich habe nicht den Zustand Frankreichs berechnet. Das allgemein Politische habe ich in einem hier gedruckten Pamphlet
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