1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
dachte ich: Immerhin bin ich Sullys Schwarzer Hund.
Der Herzog musste den Mann identifizieren und beseitigen, den Maria di Medici bei ihm eingeschleust hatte. Und abgesehen davon …
Selbst verschlüsselt schrieb ich nicht, dass ich wusste, wer für Ravaillacs Tat verantwortlich war. Keine Namen. Sollte ich es ihm sagen, und der Agent der Königin wird nicht sofort enttarnt, wird dieser gezwungen sein, den Herzog zu töten.
Ich trank einen weiteren Schluck Branntwein, und die Nachtluft fühlte sich kalt auf meinem erhitzten Gesicht an.
Wenn ich doch nur in Paris sein könnte!
Und wenn ich dort wäre? Der Herzog würde mich anhören, bis ich den Namen von Ravaillacs Hintermann enthüllen würde. Und dann … dann würde er mich nach den genauen Umständen von Heinrichs Tod befragen, und ich würde sagen müssen: Monseigneur , um Euer Leben zu retten, habe ich das des Königs in Gefahr gebracht, und die Dinge entwickelten, sich so, dass er tatsächlich gestorben ist …
Beschämt flüsterte etwas in meinem Hinterkopf: Ich kann nicht nach Paris zurückkehren mit der Erinnerung an das, was Dariole mir dort angetan hat.
Die Pflastersteine strahlten eine feuchte Kälte aus, und das Stroh, auf dem ich saß, hielt mich kaum warm. Ich fühlte mich an die Nächte erinnert, die ich in den Niederlanden im Krieg gegen Spanien auf Wache verbracht hatte, als ich noch ein junger Mann gewesen war.
Ein Skandal stirbt, ein Mann muss das nicht. Wo war Gabriel Santon nun, um mir das noch einmal zu sagen? Aber auch wenn er in dieser Nacht mit mir im Stall gewesen wäre, wäre es ihm schwer gefallen, mir zu erklären, wie ich die Demütigung überleben sollte, die Monsieur Dariole mir zugefügt hatte.
»Vielleicht muss ich mich ja gar nicht darum sorgen, sie zu überleben«, bemerkte ich laut und tröstete mich mit Branntwein. Maria di Medici wollte mich tot sehen. Solange ich verschwunden blieb, war ich ein Finger, der anklagend auf den Herzog von Sully deutete. Fasste man mich lebendig, würde der gleiche Finger auf sie deuten. Daher hatten Maignans Mörder und die anderen Männer mit Sicherheit den Befehl, den Leichnam von Monsieur Rochefort irgendwo in der Normandie oder der Bretagne zu verscharren.
Tatsächlich war das die Art von Grab, die ich stets für mich erwartet habe … Aber ich werde mein Bestes tun, das noch für Jahre hinauszuzögern.
Vielleicht würden sie sich aber auch meiner Leiche bedienen, um damit den Druck auf den Duc de Sully zu erhöhen. Vielleicht würden sie verkünden, leider sei ich auf der Flucht getötet worden – auf der Flucht nach der Ermordung des Königs.
Aber wie auch immer, inzwischen wollten mich eine bemerkenswerte Anzahl von Menschen tot sehen. Ich wünschte nur, ich hätte jemand anderem als mir die Schuld dafür geben können.
Der Branntwein vermittelte mir eine trügerische Wärme. Während die Nacht immer kälter wurde, drang er in meine Knochen. Ich stand auf und lief herum: über den Stallhof, den Tavernenhof und wieder in den Stall zurück, wo ich in meiner Satteltasche nach der Laterne kramte. Meine beiden Pferde schliefen im Stehen. Monsieur Darioles Strohsack lag unberührt daneben.
»Ihr Arm mag ja lang sein«, murmelte ich der Stute ins Ohr. Ich war davon ausgegangen, frei mit dem Herzog kommunizieren zu können, sobald ich eine fremde Hauptstadt erreichte, egal ob London, Den Haag oder sonst eine. Nun dachte ich: Die Agenten der Medici werden nicht lockerlassen und irgendwann auch jenseits des Kanals nach mir suchen.
Sie braucht mich tot oder vermisst, nicht lebendig.
Ich schloss die Augen und ergab mich kurz einem mitleiderregenden Tagtraum, so schön er auch war: Sullys Position bei Hofe würde gefestigt bleiben; seine Verbündeten würden an seiner Seite stehen, und er würde Monsieur Rochefort wieder nach Frankreich zurückholen, um dort in Sicherheit Zeugnis wieder die Medici-Königin ablegen zu können.
Die Stute schlief weiter. Ihre Flanke fühlte sich warm an meiner Stirn an. Ich richtete mich wieder auf.
Ich muss mit Sully sprechen! Er wird das Attentat als den größten Verrat betrachten: Wie konnte ausgerechnet sein Mann das Heinrich antun? Ich musste ihm verständlich machen, dass es keine Absicht gewesen war, dass das Attentat hatte scheitern sollen, dass nur purer Zufall dazu geführt hatte, dass es überhaupt eine Chance auf Erfolg gehabt hatte. Ich würde jedwede Strafe annehmen, die das für mich mit sich brachte, aber ich würde ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher