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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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sind mir mit traumwandlerischer Sicherheit ausgewichen und haben mich festgenagelt …
    Fludd hatte sie geschickt. Dass er mir das hatte antun können und dass diese Männer mich so rasch gefunden hatten, das konnte kein Zufall sein.
    »Hör – mir – zu!« Der Blinde verlieh jedem einzelnen Wort mit einem Schlag in mein Gesicht Nachdruck. Ich spürte mein Jochbein brechen. Seit meiner Kindheit war ich nicht mehr so behandelt worden. So sehr ich auch kämpfte, er hatte einfach zu viele Komplizen. Ihr Gewicht quetschte meine Rippen und machte mir das Atmen schwer.
    Ich machte ein Experiment: Willkürlich biss ich nach einem der Bettler, die meine Schulter hielten.
    Der Mann lehnte sich eine halbe Sekunde, bevor ich zubiss, zurück.
    Der vermeintliche blinde Mann spie: »Hör mir zu! Ich habe hier das Sagen. Ich bin der Herr. Was ich sage, wird getan. Wie du siehst, haben wir dein Schwert. Wir können dich prügeln, wie wir wollen, wenn du uns nicht zuhören willst.«
    »Und?«, schnappte ich mit aller Verachtung, derer ich fähig war. Es war schon viele Jahre her, seit ich mich zum letzten Mal beleidigt gefühlt hatte, weil ich von der canaille so grob behandelt worden war. »Und das alles nur wegen einer Börse? Neun Hunde gegen einen echten Mann?«
    Der Blinde schob die Finger mit den schwarzen scharfen Nägeln in meine Nase.
    Er zog.
    Mein Kopf wurde nach oben gerissen, und ich brüllte. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, echten Schmerz in der Stimme zu verbergen.
    »Keine Widerworte.« Der Kerl grinste breit. Inzwischen sah er wahnsinniger aus als der Wahnsinnige. »Wir wissen, wer du bist. Hier.«
    Er nestelte in seinem Hemd herum. Wasser sammelte sich in meinen Augen, sodass ich nicht sehen konnte, was er hervorzog. Wieder wand ich mich, doch nur um von einem der Kerle einen betäubenden Schlag aufs rechte Auge zu bekommen.
    Der Blinde schloss die Faust um etwas, während er mir mit der anderen Hand die Nase zudrückte. Blut spritzte heraus, während ich mich bemühte, durch den Mund zu atmen und zu schreien …
    Der Blinde stopfte mir das, was er in der Hand hielt, in den Mund.
    Ich würgte, schnappte nach Luft und spürte das Ding an meinem Gaumen. Gewicht wurde von mir genommen, als ich hilflos einem Hustenkrampf erlag. Nackte Füße platschten über das Pflaster und durch den Dreck, kaum hörbar im Vergleich zu den Schritten von Stiefeln. Ich vermochte nicht zu sagen, in welche Richtung sie gingen.
    Zitternd vor Wut, zerschunden, mit blutender Nase und hustend riss ich das Ding aus dem Mund.
    Es war Papier.
    Zerknittert, nass, blutbefleckt und mit scharfem Rand. Die schwarze Tinte war verlaufen …
    Ich kroch über das Pflaster zu meinem Rapier und dem Dolch. Ich hielt die Schwertspitze vor mich, schob mich in den nächstgelegenen Hauseingang, wo dicke Eiche meinen Rücken deckte, und schaute mich auf der Straße um.
    Falsche Bettler. Die Engländer nennen sie ›Abrahams Männer‹. Sie ziehen in Banden über das Land und verseuchen die Städte.
    Keine Türen und keine Fensterläden öffneten sich, während meine Atmung sich langsam wieder normalisierte. In Southwark kümmert sich jeder um seine eigenen Angelegenheiten.
    Blut tropfte auf meinen Kragen. Ich drückte die Hand auf die Nase, um den Blutfluss zu stoppen, doch so geriet nur Blut auf meine Manschetten und das zerknitterte Papier.
    Ein religiöses Traktat? Waren das wirklich Irre?
    Jedenfalls waren sie nicht zu fassen gewesen. Wie Aale waren sie meinem Griff entglitten. Immer einen Atemzug vor oder hinter dem Schlag. Gut gelernt.
    Schmerz strömte von meiner Stirn ins Auge. Die Sonne ließ es tränen. Mein Hut lag auf der anderen Seite der Straße. Ich strich das Papier auf meinen Knien glatt.
    »An Monsieur Rochefort.«
    Das Gefühl, das mich durchströmte, war eine Mischung aus Wut, Zorn und Entsetzen, dass ich entdeckt war. Wie hatte ich mich nur trotz all meiner Vorsichtsmaßnahmen so einfach verfolgen lassen können … nach all den Jahren, da ich Sully als Spion gedient hatte …?
    »Zweimal? An einem Tag?«, wütete ich laut und ungläubig.
    Gütiger Gott, wer bin ich denn? Bin ich seit fünfzehn Jahren Sullys Agent? Bin ich der Spion des Herzogs? Habe ich denn inzwischen jedes bisschen Verstand verloren?
    »Hurensohn, nutzloser, schwachsinniger Narr …!«
    Ich zerknüllte das Papier in meiner Faust. Dann breitete ich es wieder aus und las:
    »An Monsieur Rochefort. Wir können das ewig so weitermachen, wenn Ihr wollt, bis Ihr

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