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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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dessen Hilfe er mich schnappen konnte, wo auch immer er wollte.
    Und doch, dachte ich, selbst wenn seine Männer den Fluss mit Ferngläsern beobachten und mir Agenten folgen, wann immer ich ans Ufer gehe, würden sie länger brauchen, mich zu stellen, als dieser Junge.
    Ich winkte ein weiteres Boot zu den Stufen heran. Der Wind hatte aufgefrischt, und weiße Quellwolken trieben von West nach Ost über die Stadt und spiegelten sich in den klaren Wassern der Themse. Ich landete am gegenüberliegenden Ufer an den Falcon Stairs ein Stück flussaufwärts und nicht weit entfernt vom Bear Garden. Dort bezahlte ich den Flussschiffer – und knurrte ob des Kommentars, den Master Warner machen wollte.
    Der kleine Gelehrte, der am Ufer auf mich wartete, zuckte vor Schreck zusammen. Ich ging an ihm vorbei nach Southwark.
    Als ich mich dabei ertappte, wie ich nahezu jedes Gesicht musterte, an dem ich vorüberkam, hielt ich an der Bärengrube an, um die für den Nachmittag angesetzten Kämpfe zu verfolgen und darüber nachzudenken, was ich nun tun konnte.
    Wie kommen sie auf einen Friedhof? Ein überstürztes Wort von Mademoiselle Dariole; eine Situation, durch die Saburo sich in Unkenntnis der Sitten dieses Landes beleidigt fühlen würde … Oder vielleicht war einfach nur ein Boot gekentert, und sie waren ertrunken … All das konnte einem Mann passieren.
    Oder eben auch nicht.
    Doch egal, was auch geschehen war oder geschehen mochte, ich konnte ohnehin nichts daran ändern.
    Sie irrten verloren durch eine Stadt mit fünfzigtausend Einwohnern.
    Zwischen den Häusern sammelte sich die Wärme, die von der Frühlingssonne ausging. Männer, die an mir vorbei in die Bärenkampfarena gingen, trugen keine Mäntel – obwohl, dies war Southwark, vielleicht besaßen sie ja gar keine oder hatten sie verpfändet. Eine halbe Straße südlich von hier war früher am Tag die Frau mit Namen Aemilia Lanier aus dem Theater gekommen.
    Eine Frau konnte man einfacher befragen, besonders wenn sie allein war.
    Ich drehte mich um und schlenderte in diese Richtung, ohne auch nur zu versuchen, meine Größe und meinen weit ausholenden Schritt zu verbergen, obwohl es sich bei beidem um Eigenschaften handelte, durch die man einen Mann schon von weitem in einer Menge identifizieren konnte. Als ich an dem Gebäude ankam, das – wie ich nun sah – ›The Globe‹ hieß, waren die Tore des Schauspielhauses geschlossen.
    Plötzlich ertönte ein Schrei im Inneren und ein kollektives Schnappen nach Luft. Dann hallte ein Schuss aus dem Gebäude, und dreitausend Menschen jubelten. Ich hob die Augenbrauen. Meinen Herrn Sully konnte ich mir an einem solchen Ort kaum vorstellen – allerdings den verstorbenen König Heinrich, der bedauerlicherweise über einen ausgesprochen schlechten Geschmack verfügt hatte.
    Das Stück war in vollem Gange und die Straße deshalb verhältnismäßig leer. Ich fragte den Mann, der für einen Sixpence auf die Pferde aufpasste, ob er zufällig eine Frau in einem blauem Kleid gesehen habe; er hatte nicht.
    Und einen französischen Jüngling sowie einen Mann in langem Mantel?
    Die auch nicht.
    Ich drehte mich um und ging in die Gassen der Bankside. Sicherlich ließ sich hier irgendwo ein Zimmer in einer der zu Bordellen verwandelten Tavernen finden, die aufgrund der Anordnung des Bischofs von Winchester in diesen Vorstädten geradezu wucherten. Ich bezahlte weniger, als ich gedacht hatte, da ich weder über ein Pferd verfügte und auch keine Hure wollte. Beim Essen fragte ich mich, ob ich es wohl bis zu den Cinque Ports im Süden Englands schaffen würde, um dort auf ein Schiff zu steigen.
    Morgen. Ich werde London morgen verlassen. Er kann unmöglich genügend Agenten haben, um jedes Schiff von hier bis Greenwich zu überwachen, sinnierte ich. Oder wäre eine anonyme Straße vielleicht besser?
    Bei Sonnenuntergang zwischen halb sieben und acht hatte ich noch immer keine Entscheidung getroffen. Ich legte mich zum Schlafen hin – was ich mit Unterbrechungen auch tat. Immer wieder weckte irgendein Lärm mich auf, und der Gestank der Straße drang mir in die Nase. Ich schlief mit gezücktem Schwert.
    Doch in dieser Nacht auf dem Strohsack waren Flöhe das Schlimmste, das zu mir kam. Das Stroh war so alt, dass die winzigen Tiere vermutlich schon seit Generationen darin lebten. Gegen fünf Uhr stand ich auf und warf die Fenster auf. Ein warmer Wind wehte herein und machte den Raum unter dem Dach deutlich angenehmer. Ich schaute

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