1612 - Der letzte Flug der LIATRIS SPICATA
wir uns in Erstickungskrämpfen winden? Oder bis wir in den nächsten Schwärm driften und endgültig zerfetzt werden ?„Wir müssen Geduld haben", antwortete er. „Du hast es gehört, kurz vor der Katastrophe. Überall Notrufe, auf allen Frequenzen." Er stieß ein heiseres Lachen aus. „Offenbar sind wir nicht die einzigen, die es in der Stunde der Not zur Mutter Erde zurückzieht."
Aus dem Winkel, in dem Davina hocken mußte, kam ein halblautes Lachen. Oder war es ein ersticktes Schluchzen gewesen? „Entschuldige das Stichwort", sagte Escobar Valdez unsicher. „Warum entschuldigen?" fragte Davina zurück. „Es gehört zu dieser Situation wie alles andere auch."
Escobar senkte den Kopf.
Irgendwie konnte er es immer noch nicht recht glauben, was ihm Davina ins Ohr gewispert hatte. „Bist du wirklich sicher?" fragte er jetzt, zum erstenmal das Thema offen - nun ja, beinahe offen - ansprechend. „Vergiß es einfach", sagte Davina „Und glaube mir, ich bin schwanger. Nimm es als Tatsache."
Valdez murmelte eine Verwünschung. „Und du bist sicher, daß ... Ich meine, ich will dir nicht zu nahe treten..."
„Das bist du bereits, Escobar Valdez. Oder hast du es vergessen?"
Die Dunkelheit, pechschwarz und vollkommen undurchdringlich, so dunkel, daß es fast an den Augen schmerzte, hatte auch ihre Vorteile. Ganz bestimmt konnte Davina nicht sehen, wie Escobar Valdez unversehens errötete. „Natürlich habe ich es nicht vergessen", murmelte er. „Wie könnte ich! Mir tun heute noch die Ohrläppchen weh."
Er zögerte. Wie stellte man diese Frage, diese ebenfalls sehr wichtige Frage, ohne beleidigend und verletzend zu sein? Er zögerte lange. „Bevor du fragst", meldete sich Davina. Escobar versuchte ihr Gesicht vor seinem inneren Auge aufscheinen zu lassen. Sie war sehr schön, und am meisten hatte er dieses sanfte, ironische Funkeln in ihren Augen gemocht. Es hatte ihm gesagt: Ich sehe dich, Escobar Valdez, und ich durchschaue deine Mätzchen und männlichen Eitelkeitskapriolen bis auf den Grund deiner knabenhaften Seele, und ich liebe dich ... „Es hat keinen anderen gegeben."
Escobar Valdez räusperte sich verlegen. Es erfüllte ihn mit Stolz, aber irgendwie wußte er mit dem Kompliment nicht richtig umzugehen. „Danke", brachte er schließlich über die Lippen. „Und ich verstehe es trotzdem noch nicht. Ich meine, du hast doch ... und ich auch. Wie also?"
„Ich wäre im Januar schon für eine neue Implantation des Antifertilats fällig gewesen", sagte Davina. „Und du?"
Valdez senkte den Blick. „März 1200 NGZ", sagte er dumpf. „Daran habe ich natürlich nicht gedacht."
„Escobar?"
Die Stimme klang leise, ein wenig zaghaft. Escobar hatte, kurz nachdem er wach geworden war, Davina weinen hören können, aber nur für kurze Zeit. Danach hatte sie sich beherrscht. Der Himmel mochte wissen, woher sie in ihrem Zustand und angesichts der offenkundigen Lage die Kraft dazu nahm. „Haben wir eine Chance?"
Escobar Valdez zögerte mit der Antwort.
Was hätte er sagen sollen?
Die LIATRIS SPICATA war havariert, noch bevor sie einen Notruf hatte aussenden können.
Keines der Besatzungsmitglieder hatte es bis zu einem der Rettungsboote geschafft, wahrscheinlich hatte draußen niemand auch nur eine Winzigkeit von dieser Katastrophe mitbekommen. Möglich, daß einer der kleineren Notsender die Kollision überstanden hatte und jetzt sein Signal funkte, aber ob jemand darauf achten würde? Valdez erinnerte sich, wie viele Schiffe es gab, die das Solsystem in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch der Toten Zone angeflogen hatten, die meisten davon mehr oder weniger havariert.
In diesem Chaos zu hoffen, daß eine sehr aufmerksame und mitleidige Seele einen durch den Kosmos treibenden Trümmerhaufen entdeckte und die darin Eingeschlossenen barg - das war mehr als verwegen. „Natürlich haben wir eine Chance", sagte Escobar schließlich. „Man hat unseren Unfall ganz bestimmt bemerkt, auf einem der Saturnmonde und auch sonst. Wann kommt es schon einmal vor, daß ein Raumschiff mit den Ringen des Saturn zusammenstößt? Wahrscheinlich haben wir mit unserer guten alten LIATRIS SPICATA ein sauberes Loch in die schönen Ringe gestanzt..."
„Du bist ein lausig schlechter Lügner, Escobar Valdez", sagte Davina Taigaram. „Sehr schlecht. Aber ich danke dir für deinen Optimismus."
Valdez stieß einen Seufzer aus. „Wir haben eine Chance", sagte er. „Eine kleine, zugegeben. Aber es gibt Chancen.
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