1612 - Der letzte Flug der LIATRIS SPICATA
eben in größerem Umfang und mit einer gewissen Systematik darin." Lucienne dachte nach. „In einem solchen Fall", sagte sie dann zögernd, „würde der Syntron keine Fehlermeldung abgeben, sondern sich ganz still verhalten, um seine Datenbestände nicht in Gefahr zu bringen."
„Mit einem Wort - er würde genau so reagieren, wie er es jetzt tut?"
Lucienne nickte auf Reginald Bulls Frage. „Das wäre also geklärt", sagte der Hansesprecher. „Und jetzt, Perry, wüßte ich gern von dir, woran du denkst. Was stellst du dir darunter vor - Änderung von Personaldaten?"
„Ich glaube, ich weiß, woran Perry denkt", machte sich Julian Tifflor bemerkbar. „Was ist, wenn der Syntron gemerkt hat, daß einige wichtige Leute nicht mehr das sind, was sie einmal gewesen sind, sondern ganz etwas anderes. Oder ganz jemand anders?"
Reginald Bull breitete die Hände aus. „Und wer, zum Teufel? Wer oder was sollen diese wichtigen Leute jetzt sein?"
Perry Rhodan gab die Antwort. Er gab sie stirnrunzelnd, mit allen Zeichen des Zweifels. Aber auch mit deutlich hörbarer Besorgnis angesichts der vorhersehbaren Konsequenzen, wenn sich sein Verdacht bewahrheiten sollte.
Die Antwort bestand in einem Wort: „Ennox!"
„Es ist so furchtbar schnell gegangen", sagte Davina leise. Ihre Stimme zitterte.
Es war dunkel in der Zentrale der LIATRIS SPICATA, aber Escobar Valdez konnte sich seltsamerweise genau vorstellen, wie Davina drüben vor der Kartenbank hockte, auf dem Boden sitzend, die Beine an den Körper gezogen und innerlich frierend.
Er hatte die gleiche Haltung eingenommen, und auch bei ihm stammte das Gefühl der Kälte aus der Angst. „Glücklicherweise", antwortete Valdez. Er bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen, festen Klang zu geben. Aber es wollte ihm nicht gelingen.
Der Schock saß zu tief.
Die LIATRIS SPICATA gab es nicht mehr. Was jetzt noch existierte und in bescheidenem Umfang, wie bei einem Wunder, sogar noch funktionierte, war ein Wrack, mehr nicht. Das hieß, wenn jemand von außen überhaupt noch in der Lage sein sollte, in diesem Schrottklumpen die Überreste eines Raumschiffs zu erkennen.
Der letzte Flug der LIATRIS SPICATA hatte ein schnelles, brutales Ende gefunden.
Zeit zum Reagieren, für Flucht- und Rettungsmaßnahmen hatte es nicht gegeben. Kaum erkannt, war die Katastrophe bereits dagewesen.
Das Schiff war mit voller Eintauchfahrt in die Ringe des Saturn hineingerast, und die Brocken aus Eis und Methan hatten es förmlich zerschrotet.
Escobar Valdez hatte nur eine sehr vage Vorstellung von dem, was von der LIATRIS SPICATA vielleicht noch übrig war.
Die Zentrale in jedem Fall, und sie war wie durch ein weiteres Wunder sogar unbeschädigt; jedenfalls war sie nicht durchlöchert worden wie andere Teile der LIATRIS SPICATA. Es gab Luft in diesem Trümmerstück. Fraglich war nur, wie lange dieser Sauerstoffvorrat halten würde.
Auch die Heizung schien noch zu funktionieren, und es gab in einem Nachbarraum Wasser und Lebensmittel.
Und es gab vier Tote.
Sie waren beim Aufprall gestorben, als ihre Körper wie Geschosse durch die Zentrale der LIATRIS SPICATA flogen. Dies war das letzte Bild, das Escobar Valdez wahrgenommen hatte, bevor er das Bewußtsein verloren hatte - ein grelles Licht, Schreie voll Qual und Entsetzen und die Körper seiner Freunde, wie sie scheinbar zeitlupenhaft langsam durch den Raum gewirbelt wurden.
Danach hatte Stille geherrscht. „Hast du Schmerzen?" fragte Valdez leise.
Es dauerte, bis die Antwort kam. Valdez begriff: Davina hatte, wahrscheinlich mit geschlossenen Augen dasitzend, zunächst nur den Kopf geschüttelt und war dann erst gewahr geworden, daß Valdez die Reaktion nicht sehen konnte. „Nein, kaum", antwortete Davina. Der Tonfall verriet tiefe Niedergeschlagenheit. Was half es, in einer solchen Lage nur kleine Blessuren davongetragen zu haben? „Und du?"
Das rechte Bein von Escobar Valdez tat höllisch weh, und als er es abgetastet hatte, waren seine Finger von einer klebrigen Feuchtigkeit benetzt. Vermutlich Blut. „Gut!" log er. „Ziemlich gut." Alle anderen waren tot. Er hatte es herausgefunden, als er durch die Zentrale der LIATRIS SPICATA gekrochen und auf die leblosen Körper gestoßen war, übersät und eingeklemmt in Trümmer der früheren Einrichtung. „Wie lange wird es dauern?" fragte Davina leise.
Was? fragte sich Escobar Valdez. Bis wir hier verreckt sind an unseren inneren und äußeren Verletzungen? Bis uns die Luft ausgeht und
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