1612 - Der letzte Flug der LIATRIS SPICATA
„So kann man es auch ausdrücken", sagte sie halblaut.
Reginald Bull kratzte sich hinter dem rechten Ohr. „Und?"
„Nichts und", antwortete Lucienne DuPrez. „Wir kommen an die Daten nicht heran, wir haben alles versucht. Unsere hausinternen Fachleute haben nicht einmal eine vage Ahnung, wo der Fehler liegen könnte."
Julian Tifflor kniff die Augen zusammen. „Wird es übel, wenn ihr an die Daten nicht herankommt?"
Lucienne DuPrez sah Perry Rhodan an, der mit finsterer Miene nachdachte. „Nein", sagte sie halblaut. Ihr Lächeln wirkte fast schon entrückt. „Übel ist nicht ganz das richtige Wort." Sie beugte sich ein wenig vor und blickte Julian Tifflor geradewegs an. „Der Begriff Katastrophe kommt der Wirklichkeit schon näher. Und wenn es so etwas gäbe wie ein katastrophales Elendsruindesaster - dann könnte man den Sachverhalt so nennen."
Reginald Bull zeigte ein schiefes Grinsen. „Das klingt ja fast, als könnten wir über kurz oder lang pleite gehen", sagte er in dem Bemühen, der Angelegenheit eine heitere Note abzugewinnen.
Lucienne DuPrez nickte trocken. Sie paßte ihre Sprache Bullys Tonfall an. „Richtig", sagte sie gelassen. „Genauso sieht das Kind aus, wenn es die Hosen heruntergelassen hat."
Darauf gab es erst einmal gar nichts mehr zu sagen.
4.
„Alles klar?"
Valdez Escobar blickte in die Runde. Bärtige Köpfe, grimmig dreinblickend, dazwischen drei ziemlich blasse Frauengesichter, alle hager und eingefallen wirkend. Aber auf jedem Gesicht war ein optimistisches Grinsen zu sehen.
Denn es gab Grund zur Freude, und niemand wußte das besser als Escobar Valdez.
Die Welt war wieder da, sie funktionierte wieder; was auch immer die Ursache für all die seltsamen Ausfälle an Bord gewesen sein mochte, sie waren verschwunden.
Die Syntroniken arbeiteten wieder, die Reaktoren lieferten Energie, die künstliche Schwerkraft hatte eingesetzt. Und, aus welchem Grund auch immer, der verdammte Torpedo war nicht detoniert.
Aber das wußte und interessierte nur Escobar Valdez. „Alles klar", sagte eine der Frauen. „Versuche es. Wir haben nur diese eine Chance."
Irgend jemand im Hintergrund murmelte einen Fluch.
Die LIATRIS SPICATA jagte mit der höchsten Geschwindigkeit durch den freien interstellaren Raum, deren sie fähig war - und das war nicht viel.
Das Schiff war alt, es hatte ein rundes Jahrtausend auf dem Buckel, und es war schon ein ziemlich altmodisches Schiff gewesen, als es seinerzeit gebaut wurde. Linearantrieb, gewissermaßen aus der Steinzeit des Galaktikums. Aber es hatte seine Lichtjahrmillionen heruntergespult, wie es von den wechselnden Besatzungen erwartet worden war - ein paar Male allerdings auch so, wie die Besatzungen es nicht erwartet hatten.
Daß die derzeitige Crew der LIATRIS SPICATA an diesem Tag Kurs unmittelbar ins Solsystem nahm, war Ausdruck der schieren Verzweiflung. Jeder an Bord wußte, was Schiff und Besatzung zu erwarten hatten, sollte jemals ein technischer Inspektor oder ein interstellarer Fahnder seinen Fuß an Bord setzen: Verschrottung, Abwicklung, Exitus. Im Fall der LIATRIS SPICATA hieß das, daß man sie zum nächsten Raumschiffsfriedhof zwecks Schnellbestattung geschafft hätte; bei der Besatzung würde es vermutlich auf mehrhundertjährige Haftstrafen für jeden Mann und jede Frau hinauslaufen.
Aber das war wenig verglichen mit dem, was die Crew zu erwarten hatte, wenn sie in die Hände der Fentonville Foundation fiel. Die Jagd war nämlich noch nicht beendet - nur kurze Zeit nach dem Wiedererwachen der Welt hatten die Schiffe der Foundation mit unbegreiflicher Sturheit die Verfolgung wiederaufgenommen. (Escobar Valdez hatte insgeheim allerdings den Verdacht, daß diese Fortsetzung der Verfolgung gar nichts mit Sturheit zu tun hatte. Möglich war auch, daß an Bord dieser Schiffe keine lebende Seele mehr zu finden war und nur die Bordsyntrons die einmal befohlene, inzwischen längst überflüssig gewordene Verfolgung mit lauter Toten an Bord fortsetzten.) Trotzdem war es besser, es mit irdischen Behörden zu tun zu bekommen, wennschon.
Nicht, daß irgendeiner an Bord sich eines wirklichen Kapitalverbrechens schuldig gemacht hätte. Es gab keine Mörder an Bord, keine Rauschgifthändler oder Mädchenschmuggler. Aber fortlaufende Verstöße gegen alle, aber auch wirklich alle einschlägigen Paragraphen der Gebühren-, Abgaben- und Steuerverordnung summierten sich am Ende auch - und im Gegensatz zu einem Strafrichter kannten die
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