1620 - Vorleser des Teufels
Freundin stand. Und soll ich dir sagen, wie sie aussah? Einfach schrecklich, denn sie hat keinen normalen Tod erlebt. Sie ist auf eine fürchterliche Weise ums Leben gekommen. Man hat sie nicht nur einfach getötet, sondern grausam vernichtet. Aber nicht euer Freund hat es getan, sondern seine Helfer. Das sind die Ratten gewesen. Sie kamen aus ihren Löchern oder sonst woher. Und sie haben sich auf Rita Benson gestürzt und sie brutal zu Tode gebissen.«
Es waren harte Worte. Ich hatte sie bewusst gewählt, denn Audrey musste endlich die ganze Wahrheit erfahren. Sie musste die Wahrheit über den für mich noch Unbekanten erfahren, aber ob meine Worte gereicht hatten, musste sich erst noch herausstellen.
»Ich glaube dir nicht. Du willst uns entzweien. Rita kann nicht tot sein. Sie war in seinen Vorlesungen, verstehst du? Da haben wir die Dinge erfahren, die den Tod überwinden können.«
»Das war bei Rita nicht der Fall.«
»Sie war noch nicht so weit. Keiner von uns ist das. Alles braucht seine Zeit. Wir müssen noch einen bestimmten Weg gehen und ihm mehr zuhören. Ihm lauschen, uns von seiner Stimme gefangen nehmen lassen, denn er ist der Vorleser.«
»Gut«, sagte ich. »Das muss ich akzeptieren. Ist es denn möglich, dass ich ihn mal kennenlerne?«
»Was willst du?«
»Ihm gegenüberstehen. Auge in Auge.«
»Du bist nicht würdig«, machte sie mir klar. »Nein, du gehörst nicht unserem Kreis an. Wir lassen uns nicht dabei stören. Er bringt uns einer anderen Macht näher.«
»Hat er auch einen Namen?«
Audrey Wilder starrte mich an. »Ja, das hat er. Für uns ist es ein berühmter Name.«
»Darf ich ihn wissen?«
Sie öffnete den Mund, und ich rechnete damit, dass sie etwas sagen würde. Leider überlegte sie es sich anders und schüttelte den Kopf.
»Nein, das ist für dich nicht wichtig.«
»Schade, wo ich doch seine Stimme kenne.«
Mit dieser Antwort hatte Audrey nicht gerechnet, denn sie zuckte plötzlich zusammen. Es dauerte etwas, bis sie sich gefasst hatte.
»Du - du - kennst seine Stimme?«
»Ja.«
»Und wo hast du sie gehört?«
»Hier in dieser Wohnung. Da hat er gesprochen.«
Audrey war plötzlich sehr aufgeregt.
Sie schaute sich recht hektisch um, als würde er sich hier verstecken.
Ich holte die CD aus der Tasche und wedelte damit vor Audreys Nase.
»Das hier habe ich in der Wohnung gefunden. Und da habe ich ihn sprechen gehört.«
»Was ist dann passiert?«
Ich gab mich gelassen. »Nun ja, ich hörte ihm einfach zu und muss gestehen, dass seine Stimme schon faszinierend geklungen hat. Sie war voller Emotionen. Nur habe ich leider kein Wort verstanden, weil ich die Sprache nicht kenne.«
»Das ist klar«, flüsterte sie. »Das kannst du auch nicht. Das kann wohl keiner außer ihm.«
»Warum denn nicht?«
Vor der Antwort schnappte sie nach Luft. »Weil es - weil es - diese Sprache bei den Menschen nicht gibt. Nirgendwo auf der Welt kann sie verstanden werden. Nie und nimmer.«
»Und was ist der Grund?«
»Das kann ich dir sagen, John. Diese Sprache ist etwas Besonderes. Er aber beherrscht sie, denn es ist die Sprache der Toten…«
Jetzt war es heraus. Ich hoffte, dass ich nach dieser Aussage meinem Ziel ein Stück näher gekommen war.
Ich gab mich gelassen und wiederholte ihre letzte Bemerkung.
»Du hast von der Sprache der Toten gesprochen. Da muss ich mich doch fragen, ob Tote überhaupt sprechen können.«
»Nein, nicht in der Regel. Bei ihm schon. Er hat den Kontakt zu einer anderen Welt aufgenommen. Er ist ein mächtiger Zauberer und Magier. Ihm ist nichts unmöglich, und so konnte es ihm gelingen, ins Totenreich einzudringen.«
So ganz von der Hand zu weisen waren ihre Worte nicht. Ich hatte in meiner Laufbahn schon Ähnliches erlebt. Es war, das wusste ich, auf der Welt eigentlich alles möglich, und so nahm ich es als eine Wahrheit hin.
»Kannst du mir sagen, wie er es geschafft hat?«
»Nein, das ist sein Geheimnis.«
»Dann muss er ein besonderer Mann sein.«
»Er ist ein Vorleser«, gab sie mir überdeutlich bekannt. »Ja, er liest vor. Es ist sein Zauber, der in uns eindringt, und so kann es für uns nur ihn geben.«
»Und du liebst seine Stimme?«
»Wir alle lieben sie, wenn wir sie einmal gehört haben.«
»Dann wäre es doch gut, wenn wir beide uns seine Stimme zusammen anhören würden.« Ich wedelte mit der CD, und sie verfolgte die Bewegung mit ihren Augen.
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Bitte, wir sollten es schon tun.« Audrey
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