1624 - Die Atlantis-Hexe
damals…«
»Wieso? Was ist damals gewesen? Und von welch einem Damals sprichst du?«
»Es ist lange her. Sehr, sehr lange, das weißt du selbst. Du hast damals nur nicht Purdy Prentiss geheißen, aber das brauche ich dir nicht extra zu sagen!«
»Da gebe ich dir sogar recht, Diondra. Wie du schon sagtest, es ist einfach zu lange her. Und an das, was früher gewesen ist, kann ich mich nicht erinnern.«
»Das solltest du aber.«
»Verdammt, es geht nicht!«
»Dein Pech…«
Jetzt hatte Purdy Blut geleckt. »Was ist? Könntest du mir nicht einen Tipp geben? Du bist doch sicher auch nicht mehr dieselbe, die ich damals angeblich kennengelernt habe.«
»Doch das bin ich.«
Jetzt war Purdy Prentiss erst mal baff. Sie musste hart schlucken, dann räusperte sie sich und fragte mit leiser Stimme: »Wie war das? Kannst du das wiederholen?«
»Gern. Ich habe mich nicht verändert. Ich bin so geblieben, wie ich immer war. Ich habe auch den Untergang überlebt. Du weißt doch, dass nicht alle Bewohner umgekommen sind. Die Besseren und die Guten haben überlebt. Ich denke, dass dir das nicht neu sein sollte.«
»Richtig. Ich kenne einige. Da hast du schon recht.«
»Das ist doch wunderbar.«
Purdy wollte wieder auf den Kern der Aussage kommen. »Trotzdem weiß ich noch immer nicht, was du von mir willst. Du bist mir völlig fremd, verdammt noch mal!«
»Reg dich doch nicht auf. Keine Sorge, du wirst dich schon noch erinnern.«
»Danke, das sind ja tolle Aussichten. Und wann, bitte, soll das sein?«
»Bald…«
Purdy schüttelte den Kopf. »Wie bald? Was ist das für eine Antwort? Die hätte ich mir auch selbst geben können.«
»Sehr bald. Das verspreche ich.«
Mit diesen Worten unterbrach sie die Verbindung. Die Staatsanwältin stand in ihrem Büro und kam sich wie bestellt und nicht abgeholt vor.
In ihrem Innern kochte es. Sie bewegte ihren Mund, ohne etwas zu kauen. Ihr Kopf war wieder frei, sodass sie über das Gespräch nachdenken konnte. Dabei strich sie über ihre Stirn und spürte die Feuchtigkeit an ihrer Hand.
Sie war eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Und sie ließ sich auch nicht so leicht verunsichern. In diesem Fall allerdings war es so gut wie unmöglich, die Ruhe zu bewahren.
Sie hatte schon mehrmals erlebt, dass die Vergangenheit, die im Strom der Zeiten eigentlich begraben war, sie wieder einholte. In diesem Fall empfand sie es besonders schlimm, denn sie besaß so gut wie keine Informationen. Auch zeigte sich die andere Seite nicht, und so konnte sie sie auch nicht bekämpfen. Genau das empfand sie als schlimm.
Sie wurde bedroht, aber sie wurde von einem Phantom bedroht, über das sie sich zwar Gedanken machen konnte, was sie jedoch nicht weiter brachte. Und das war das Problem.
Dabei war sie nicht frei. Sie konnte nicht nach Hause gehen und sich auf ihre Gegnerin konzentrieren. Sie musste ihrem Job nachgehen und ein Plädoyer halten. Sie musste diesen Frauenmörder lebenslänglich hinter Gitter bringen. Und sie würde jedes Wort genau abwägen müssen, denn der Verteidiger war ein gewiefter Typ. Da konnte sie sich keine Konzentrationsschwächen erlauben.
Sie hätte gern noch mal mit John Sinclair telefoniert, um ihn über die neue Lage zu informieren. Das ließ sich zeitlich nicht mehr regeln. So musste sie in den sauren Apfel beißen.
»Dann eben nicht«, flüsterte sie, hob ihren Aktenkoffer an und verließ das Büro…
***
Der Mörder hieß Jason Shaft. Er saß bereits im Gerichtssaal, als die Staatsanwältin den Raum betrat. Sie war etwas außer Atem und zudem eine der letzten Personen. Nur der Richter fehlte noch.
Kaum hatte man die Tür hinter ihr geschlossen, da drehte Shaft den Kopf. Ihn konnte er normal bewegen. Nicht so seine Hände, denn die waren mit Handschellen gefesselt. Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit auf sie.
Shaft war ein Widerling. Sein Kopf war spiegelblank, das Gesicht glatt und unbewegt. Wäre nicht der verschlagene Ausdruck in seinen Augen gewesen, man hätte ihn auch für eine Puppe halten können.
Als er die Staatsanwältin sah, verzogen sich seine Lippen und bildeten einen Kussmund. Dann öffnete er ihn und spielte ihr eine Pantomime vor, indem er ihr ein lautloses Lachen zuschickte.
Purdy Prentiss kümmerte sich nicht um ihn. Sie nahm ihren Platz ein und ließ ihre Blicke über die Zuschauer gleiten. Die Presse war von der Urteilsverkündung ausgeschlossen. Im Saal selbst durften keine Fotos geschossen werden.
Purdy
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