1628 - Die Tür zum Jenseits
»Hellseher bin ich nicht. Ich habe einen Verdacht, das ist alles.« Ich runzelte die Stirn und nahm die Statue noch mal unter die Lupe. Suko half mir dabei. So sehr wir uns auch anstrengten, wir fanden keine weiteren Spuren. Sie wären auf dem hellen Gestein gut zu sehen gewesen.
»Das Rätsel wird immer größer, John, und wir wissen nicht, wo wir ansetzen sollen.«
Da hatte er ins Schwarze getroffen. Ich rückte mit dem Vorschlag heraus, noch mal mit Rudy zu sprechen. Es konnte sein, dass er uns nicht alles gesagt hatte.
»Das wäre eine Möglichkeit.« Suko deutete in die Runde. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Friedhof völlig vergessen worden ist. Vielleicht finden wir auf einem Amt eine Spur, die uns weiterbringt. Oder wie siehst du das?«
»Das wäre nicht schlecht.« Überzeugt hatte ich nicht gesprochen, und ich ging auch nicht näher darauf ein, weil sich meine Gedanken auf die Wanderschaft gemacht hatten.
Auch Suko dachte über Alternativen nach. Wir beide sprachen nicht mehr und überließen uns der ruhigen Atmosphäre des Friedhofs.
Das wurde plötzlich anders.
Wir vernahmen ein Geräusch, das sich in dieser Stille fremd anhörte. Es war auch nicht zu identifizieren, denn es stammte nicht von Menschen, die sich unterhalten hätten. Wenn man es trotzdem beschreiben wollte, kam man auf den Gedanken, dass es sich dumpf anhörte. Als würde jemand auf etwas schlagen.
Ich drehte mein Gesicht Suko entgegen. Er war noch sehr konzentriert, deshalb sprach ich ihn nicht an. Ich sah, dass er seinen rechten Arm hob und in eine bestimmte Richtung deutete.
»Es kommt von dort.«
»Richtig. Was hindert uns daran, mal nachzuschauen?«
»Das wollte ich gerade vorschlagen.«
Er ging vor. Es war uns egal, ob es da Wege gab. Wenn, dann waren sie sowieso überwachsen. Gestrüpp behinderte uns stark, auch mussten wir Baumstämme umgehen und natürlich führte unser Weg über alte und oft eingesunkene Gräber. Erst jetzt fiel uns auf, wie schief manche Grabsteine standen, deren Oberflächen bereits stark verwittert waren.
Wir sahen keine größeren Figuren mehr. Weder Engel noch die Statuen irgendwelcher Heiliger, aber wir näherten uns einem Gebiet, das etwas lichter war. Da war sogar ein Weg zu erkennen.
Die Geräusche, die uns bisher begleitet hatten, waren verstummt.
Wir blieben stehen, um uns zu besprechen. Vor uns lagen große Gräber.
Da begrub man mehrere Menschen, oft mehr als zwei. Man konnte von Grüften sprechen, aber keine war so groß, dass jemand hineingehen konnte. Ich ging davon aus, dass diese auch noch vorhanden waren.
Suko blieb bei seinem Gedanken. »Da vom muss das Geräusch erklungen sein.«
»Und jetzt ist es vorbei.«
»Wir suchen trotzdem, denn…«
Beide zuckten wir zusammen und dann zurück, denn vor uns hatte sich etwas bewegt. Es waren zwar die Zweige eines Büschs, aber das lag nicht am Wind, denn er wehte so gut wie nicht.
Dort kam jemand.
Auch wenn die Sicht nicht eben perfekt war, sahen wir, dass es sich um eine Frau handelte. Sie trug eine längere Jacke und zog einen Spaten, den sie in der rechten Hand hielt, hinter sich her.
Eine Totengräberin war sie bestimmt nicht. Sie hatte auch den Spaten nicht grundlos mitgebracht. Wahrscheinlich hatte sie etwas ver-oder ausgegraben und das geschah nicht alle Tage.
Sie hatte uns nicht gesehen. Und das würde auch noch eine Weile so bleiben, denn sie nahm einen anderen Weg. Sie würde uns in einer gewissen Entfernung passieren. Das wollten wir auf keinen Fall zulassen.
Suko gab mir mit seiner rechten Hand ein Zeichen. Ich verstand und nickte ihm zu, denn wir würden ihr den Weg abschneiden und plötzlich vor ihr auftauchen.
Suko und ich sorgten dafür, dass wir uns wie Indianer auf dem Kriegspfad bewegten. Nur keine verdächtigen Geräusche verursachen, die Überraschung musste auf unserer Seite sein.
Und dann ging alles blitzschnell. Wir hatten Deckung hinter einem Baumstamm gefunden. Die Frau ging genau auf diesen Baum zu. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt und sprach leise mit sich selbst.
Den Spaten zog sie nicht mehr hinter sich her, sie hatte ihn über die rechte Schulter gelegt.
»Jetzt!«, flüsterte Suko und verließ zuerst die Deckung. Ich folgte ihm, und im nächsten Augenblick blieben wir vor der Frau stehen, die damit nicht gerechnet hatte…
***
Sie schrie auf. Dann sackte sie leicht in die Knie, und dabei rutschte der Spaten von ihrer Schulter. Am Rande bekam ich mit, dass frische Erde daran
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