1628 - Die Tür zum Jenseits
dass irgendwelche Grabräuber sich an ihnen zu schaffen gemacht hatten, obwohl dieses alte Gelände ein Paradies für Grufties war. Andere Besucher sahen wir nicht, und so bewegten wir uns weiter durch die hellgrüne Dämmerung, in der es recht schwül war.
Der Weg endete, weil wir eine andere Seite des Friedhofs erreicht hatten.
Und genau dort sahen wir den Engel!
Ohne uns abgesprochen zu haben, blieben wir stehen und nahmen das Bild in uns auf. Die Statue war gut zu sehen. Nicht nur, weil das Gestein recht hell war, es lag auch an dem dunklen Hintergrund, vor dem die Figur auf einem Steinsockel stand.
Der helle Steinengel sah nicht so aus, als würde er zu einem Grab gehören und es bewachen.
»Fällt dir etwas auf?«, fragte Suko.
»Nein, bisher nicht.« Ich deutete nach vorn. »Abgesehen von diesem hellen Stein.«
»Und es liegt auch keine Frau auf seinen Armen.« Suko hob die Schultern und ging die letzten Schritte auf die Figur zu, um sie aus der Nähe zu betrachten.
Ich folgte ihm und sah, dass seine Blicke von oben nach unten an dem Engel entlang wanderten. Als ich ihn erreichte, machte er mir Platz, damit ich mich vor den Engel stellen konnte, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen.
Er war nicht nackt. Der Künstler hatte ein Gewand aus Stein geschaffen, in das der Körper eingehüllt war. Dabei hatte er sich Mühe gegeben, denn das Gewand zeigte Falten aus Stein, die erst an den Füßen endeten. Ja, die Füße. Sie berührten einen Sockel, wobei der linke Fuß tatsächlich auf einem steinernen Totenschädel stand.
Das war nicht bei jedem Engel der Fall. Für mich war es trotzdem nichts Besonderes. Das war für die Betrachter das Zeichen, dass der Engel oder die Macht des Himmels den Tod besiegt hatte. Eine Allegorie, wie man sie oft auf Friedhöfen sieht, nur meistens in verschiedenen Darstellungen.
Suko warf mir einen knappen Blick zu. »Spürst du was?«
Ich hob die Schultern.
»Ich meine, etwas Unnormales.«
»Nein, mein Kreuz reagiert nicht. Hier scheint wirklich alles ruhig zu sein.«
»Sag lieber normal.«
»Auch das.« Ich trat noch näher an den Engel heran, um ihn anzufassen.
Mit der Handfläche glitt ich über den hellen Stein hinweg und fühlte nichts.
Keine Wärme, nur den kalten Stein. Da ich dicht vor ihm und damit praktisch in der Lücke zwischen den beiden ausgestreckten Armen stand, sah ich das Gesicht aus unmittelbarer Nähe.
Der Künstler hatte meiner Meinung nach versucht, ihm einen gewissen Ausdruck zu geben. Es zeigte einen sehr friedlichen und ruhigen Ausdruck. Wer diesen Engel anschaute, der musste sich nicht fürchten.
Möglicherweise gab er ihm sogar Hoffnung mit auf den Weg.
Ich trat wieder zurück und hob die Schultern. Dann wollte ich Suko ansprechen, was ich bleiben ließ, da mein Freund beschäftigt war. Er hatte sich ein wenig von mir entfernt, ging leicht gebückt und suchte dabei den Boden ab.
»Was suchst du?«
Suko richtete sich wieder auf. »Wir sind nicht die einzigen Besucher in der letzten Zeit gewesen. Bis zur Statue hin ist das Gras flach getreten worden und hat sich noch nicht wieder aufrichten können.«
»Dann ist also jemand vor uns hier gewesen?«
»Genau, John. Aber nicht nur einer. Wenn ich mir die Spuren so ansehe, müssen es mehrere Personen gewesen sein, die sich hier herumgetrieben haben.«
»Und weiter?«
Er lachte. »Was willst du denn noch wissen? Dieser Rudy scheint nicht gelogen zu haben.«
»Damit habe ich sowieso nicht gerechnet«, sagte ich und war mit meinen Gedanken nicht bei der Sache, denn mir war auf dem Boden und dicht vor meinen Füßen etwas aufgefallen. Ich musste schon genau hinsehen, um es erkennen zu können. Wäre es heller gewesen, hätte ich kein Problem gehabt, so aber ging ich in die Knie und wurde von Suko beobachtet, der allerdings keine Fragen stellte.
Ich sah dunkle Flecken. In mir hatte sich längst ein bestimmter Verdacht breit gemacht, den ich bestätigt bekommen wollte.
Ich fasste mit den Fingern nach, spürte die Flüssigkeit auf meiner Haut, stellte mich hin und rieb die Fingerkuppen gegeneinander, die rot geworden waren.
Suko stand jetzt vor mir. Er schaute sich meine beiden Finger an und sprach das aus, was ich dachte.
»Das ist Blut, denke ich.«
»Genau. Und ich gehe noch einen Schritt weiter. Vom Gefühl her glaube ich, dass es sich dabei um Menschenblut handelt. Vielleicht von der Person, die Rudy hier gesehen hat.«
»Und wo ist die Frau jetzt?«
Ich hob die Schultern.
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