1632 - Botschaft aus der Raumzeitfalte
einen Ruck. Für den Bruchteil einer Sekunde war es finster um ihn. Er hatte Todesangst. Er hatte die entsetzliche Vision, Hunderte von Wirklichkeitsebenen an sich vorbeischießen zu sehen, und mitten im Gewühl der Realitätsniveaus war er selbst, ein Reisender in ein unsagbar fremdes, weit entferntes Universum.
Der Spuk war im Nu vorüber. Helligkeit, an die sich die Augen erst wieder gewöhnen mußten, war ringsum. Verblüfft, starr vor Staunen sah er sich um.
Er stand in der kleinen Kommandozentrale der MOB-3.
*
„Was ist aus dem Blue geworden?"
Roi Dantons Stimme klang schroff. Die Frage war an niemand im besonderen gerichtet. Die beiden Piloten hatten sich von ihrer Überraschung noch nicht erholt. Das Erlöschen der Spiegelung, die zwei aus dem Nichts materialisierenden Gestalten, das war zu unerwartet gekommen und zu schnell gegangen. „Ich ... ich habe ihn nicht gesehen", stotterte der Kopilot, und sein Kollege nickte dazu, um anzudeuten, daß er auch keinen Bescheid wisse.
Auf dem Rundumbild war die Hangarhalle unterhalb der maahkschen Forschungsstation zu sehen. Nichts hatte sich geändert. Die Gleiter, die die Maahks hier geparkt hatten, standen noch so, wie Boris sie in Erinnerung hatte.
Er pellte sich aus dem SERUN und verstaute das Überlebenssystem an seinem Platz. Er hatte eine Idee. Er verließ die Zentrale und glitt durch den Antigravschacht hinunter auf das nächste Deck. Nach wenigen Schritten stand er vor der Tür der kleinen Kammer, in der das Medo-Hilfssystem installiert war. Er hörte deutlich, daß das Gerät sich in Tätigkeit befand.
Er öffnete die Tür.
Da lag er: Xii-Gien-Qek. Er war wohl erst vor ein paar Sekunden zu sich gekommen. Er blickte erstaunt um sich, erkannte den Nexialisten und fragte mit matter Stimme: „Wie komme ich hierher? Was ist geschehen?"
„Das wüßte ich auch gerne", antwortete Boris. „Du flogst in den Tunnel hinein. Wir hörten dich schreien. Im nächsten Augenblick war die Fata Morgana verflogen. Roi und ich fanden uns in der Zentrale wieder. Du warst verschwunden."
Er wandte sich an den Medo-Robot. „Wie ist der Zustand des Patienten?" fragte er. „Schwach", antwortete der Roboter. „Er hat einen Schock erlitten."
„Welche Therapie wendest du an?"
„Ich stabilisiere den Kreislauf."
„Ich erinnere mich jetzt", sagte Xii-Gien-Qek. „Ich fand mich im Tunnel nicht zurecht. Ich verlor die Orientierung. Ich wußte nicht einmal mehr. wo der Ausgang lag. Eigentlich hätte ich ihn sehen müssen, aber da war nichts. Roi rief mir zu, ich sollte mich auf die Tunnelwand zubewegen. Das ging nicht. Dann kam plötzlich aus der Tiefe des Tunnels ein grelles Licht auf mich zu, ein Feuerball. Er berührte mich. Das war schmerzhaft. Deswegen habe ich wohl geschrien. Danach weiß ich nichts mehr. Als ich wieder zu mir kam, war ich ... hier."
Unter der offenen Tür erschien Roi Danton. Er lächelte matt. „Ich hätte es mir denken sollen", sagte er. „Die Spiegelung mag uns verrückt und unverständlich erscheinen, aber sie besitzt ihre eigene Logik und Kausalität. Wenn sie sich verabschiedet, sorgt sie dafür, daß alles wieder an seinen Platz kommt."
*
Sie sprachen mit Grek-1, der erleichtert schien, daß er nun keinen Bericht mehr abzugeben brauchte. Es sei beim zweitenmal genauso gewesen wie beim ersten, sagte er.
An Bord der MOB-3 bereitete man sich auf die Rückkehr vor. Boris Siankow sichtete das Videomaterial, das während der Dauer der Spiegelung angefertigt worden war. Es gab farbund formgetreu wieder, was er aufgrund eigener Beobachtung in Erinnerung hatte. Der Effekt, der von der Mannschaft der LEPSO auf Accaro III beobachtet worden war, daß nämlich individuelle Beobachtung und Videoaufzeichnung sich zum Teil drastisch voneinander unterschieden, trat hier auf Kaahar nicht auf. Ansonsten hielt sich auch die Kaahar-Spiegelung an die Norm: ihre Lebensdauer hatte exakt zwei Stunden, 12 Minuten und drei Sekunden betragen.
Xii-Gien-Qek, der inzwischen wieder auf den Beinen war, hatte eine interessante Idee. „Wir nennen die Erscheinung >Spiegelung<, weil wir glauben, daß sie Dinge und Ereignisse widerspiegelt, die sich an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit ereignen beziehungsweise ereignet haben, nicht wahr?" begann er seine Argumentation. „Richtig", bestätigte Boris. „Die purpurne Landschaft, die wir ebenso wie Ronald Tekener gesehen haben, ist vermutlich ein Ausschnitt aus der Oberfläche eines Planeten", fuhr
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