1634 - Strigen-Terror
etwas mit den Bluteulen zu tun haben musste, stand für mich fest.
Ich dachte auch an die Gebeine, auf die ich gefallen war. Ob sie Menschen gehörten oder auch welche von Tieren dabei waren, konnte ich nicht sagen. Zumindest einen menschlichen Schädel hatte ich zertreten, aber das war im Moment nicht wichtig. Für mich zählte nur die Frau mit den dunklen Haaren.
Ich ging nicht vor Angst in die Knie, sondern fragte: »Haben Sie die Fallgrube hier geschaffen?«
»Nein, die gibt es schon länger.«
»Aha. Aber wenn jemand hineinfällt, kommt Ihnen nicht der Gedanke, ihn zu retten?«
Ihre Antwort bestand aus einem Anheben der Schultern.
»Und was ist mit mir? Wollen Sie mich hier auch verrotten lassen? Oder was haben Sie vor?«
»Was denken Sie denn?«
Ich schaute zu den Baumwipfeln hinauf. »Ich denke, dass es bald dunkel wird.«
»Das stimmt.«
»Und dann soll ich die Nacht über hier in der Fallgrube bleiben? Oder noch länger…«
»Das ist alles möglich. Wenn Menschen zu neugierig sind, müssen sie verschwinden. Diese Insel ist für nicht Eingeweihte ein großes Tabu. Sie gehört uns.«
»Meinen Sie damit die Strigen und sich?«
Es erfolgte noch keine Antwort. Schließlich nickte sie und sagte: »Sie kennen sich gut aus.«
»Ja, ich bin nicht zufällig hier.«
»Das weiß ich. Sie haben sich sogar Verstärkung mitgebracht. Ich habe diese fliegende junge Frau gesehen, die meinen Freunden schon vorher aufgefallen ist. Beeindruckend, das muss ich zugeben. Nur schade für sie, dass sie es nicht überlebt hat. Ich habe sie abgeschossen. Sie landete im Wasser und ging unter.«
Es war eine Antwort, die mir einen nicht eben geringen Schock versetzte.
Für einen Moment schoss mir das Blut in den Kopf, aber der erste Schock war schnell verschwunden, denn mir fiel etwas ein, und das behielt ich nicht für mich.
»Ich habe keinen Schuss gehört.«
»Das stimmt. Aber man kann auch mit anderen Dingen jemanden abschießen. Denken Sie nach.«
»Nein, sagen Sie es!«
»Mit einer Steinschleuder.«
Meine Hoffnungen sanken wieder in sich zusammen. Wenn genug Wucht hinter dem Stein liegt, dann kann man mit einer Schleuder einen Menschen schon außer Gefecht setzen und ihn sogar töten.
Die Frau merkte mir meine innere Unruhe an. Sie lachte und sagte: »Jetzt sind Sie allein.«
Dieser Satz entfachte wieder die Hoffnung in mir. Sie hatte nur Carlotta und mich gesehen. Maxine und Suko nicht. Dennoch wurde ich den Gedanken an das Vogelmädchen nicht los. Was ich über sie gehört hatte, schob ich erst einmal beiseite und fragte die Frau: »Haben Sie auch einen Namen?«
»Sicher.«
»Und?«
»Ich bin Kirsten Lund.«
»Aha. Und was treiben Sie hier?«
Da lachte sie. »Diese Insel habe ich mir als meine zweite Heimat ausgesucht. Ich habe geforscht, gesucht, und ich habe sie endlich gefunden. Ich kenne die Wahrheit.«
»Da kann ich nur gratulieren. Dann sind Sie also eine Forscherin.«
»Das kann man so sagen.«
»Über die Strigen?«
»Auch und im Besonderen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Tierphänomenen auf den Grund zu gehen. So sieht mein Leben aus. Ich habe die Sagen und Legenden studiert. Ich bin Spuren nachgegangen, und ich habe erleben dürfen, dass es die Strigen tatsächlich gibt. Dass alles, was man sich über sie erzählt, keine Legende ist. Dass sie in den Wäldern des Nordens überlebt haben und sich durch das Blut ihrer Opfer stärken. Menschen können sich verwandeln, wenn es gelingt, die Natur zu überlisten. Das habe ich erlebt. Auch wenn die Menschen denken, dass es die Strigen nicht mehr gibt. Ich weiß es anders. Ich lebe bei und mit ihnen. Ich habe ihnen auf dieser Insel eine neue Heimat gegeben. Es sind nicht mehr viele. Die meisten hat man getötet. Es gab Wissende, die sie nicht wollten. Ein Todesnebel hat fast alle vernichtet, selbst die weiße Eule, mit der Strigus Nachfolger zeugen wollte…«
Ich bekam bei diesen Worten ganz große Ohren. Kirsten Lund war gut informiert, und ich stellte noch eine Nachfrage.
»Du sprichst von Lady X!«
»Ja, das war sie.«
»Stimmt.«
»Aber nicht nur sie allein hat meine Freunde getötet. Ich habe alles herausgefunden und bin dabei auch auf andere Namen gestoßen. Hast du dich nicht gefragt, warum ich mich nicht nach deinem Namen erkundigte?« Sie war jetzt in eine vertraute Anrede übergegangen.
Wahrscheinlich geschah das aus reinen Hassgefühlen.
»Ich muss davon ausgehen, dass du ihn kennst, da du dich so gut mit dem Thema
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