1638 - Leichenspur des Künstlers
darin. Ihr Gesicht lief rot an. Sie regte sich auf, was ganz natürlich war, und Dr. Danner sah sich genötigt, einzugreifen.
»Bitte, meine Herren, nehmen Sie Rücksicht. Frau Lechner ist noch nicht…«
»Nein, Doktor, lassen Sie. Ich weiß, dass ich sehr wichtig bin. Ich will ja auch, dass er gefasst wird, es ist schon alles gut so. Es dauert nicht lange.«
»Ja, noch eine Minute.«
Lilly Lechner sah uns an. Dann sprach sie mit leiser Stimme die entscheidenden Sätze. »Ich habe ihn nicht nur gesehen, ich weiß auch, wer mir das angetan hat.«
»Sie kennen ihn?«, flüsterte ich.
»Ja. Ich kenne ihn gut. Ich arbeite mit ihm zusammen im Hotel. Er arbeitet zumeist hinter der Bar und heißt Frank Gilensa…«
***
Faustdicker hätte die Überraschung nicht sein können. Wir beiden waren konsterniert, wenn wir daran dachten, dass wir schon mehrmals mit dem Künstler in Kontakt gekommen waren. Aber man kann einem Menschen nur vor die Stirn schauen und nicht dahinter.
»Mein Gott«, murmelte Harry Stahl und schüttelte den Kopf. »Das kann doch nicht wahr sein.«
Ich hob nur die Schultern und blickte Lilly Lechner an. Sie hielt die Augen ebenso geschlossen wie die Lippen, und auf ihrem Gesicht lag ein schmerzhafter Ausdruck.
Es war klar, dass wir keine weiteren Fragen mehr zu stellen brauchten.
Wir wussten alles. Jetzt mussten wir nur schnell genug sein, um diesen Killer zu stellen.
»Sie sind fertig?«
»Ja, Dr. Danner, das sind wir.« Harry ging auf ihn zu und lächelte dabei erleichtert.
»Sie waren zufrieden?«
»Mehr als das.«
Auf leisen Sohlen verließen wir das Krankenzimmer und blieben im Flur stehen.
»Ich habe nicht verstanden, was Frau Lechner gesagt hat, aber Sie hat Ihnen wohl geholfen.«
»Sehr.«
»Kennen Sie jetzt den Täter?«
Das bestätigten Harry und ich.
Jetzt hatten wir es sehr eilig, das Krankenhaus zu verlassen. Wir traten in die warme Luft hinein und liefen mit schnellen Schritten auf den Parkplatz, wo Harrys Opel stand. Der Himmel zeigte nicht mehr die Helligkeit, die wir den ganzen Tag gesehen hatten, aber noch war die Dämmerung nicht da.
»Frank also, der Barmann.« Harry schüttelte den Kopf. »Hättest du das gedacht?«
»Nein, nie. Aber das Leben steckt voller Überraschungen, und man lernt nie aus.«
»Ja, das ist es wohl.«
Beide wussten wir, dass wir schnell sein mussten. Dass Lilly entdeckt werden würde, damit hatte ihr Peiniger wohl nicht gerechnet. Aber er hatte Ohren, um zu hören. Wir mussten davon ausgehen, dass er inzwischen von seinem misslungenen Versuch erfahren hatte. Dann musste er reagieren.
Jetzt kam es darauf an, wer schneller war.
Er oder wir!
***
Herr Finke, der Hoteldirektor, hatte seine Mitarbeiter zusammengeholt, obwohl die eigentlich anderes zu tun hatten. Aber er musste ihnen erklären, warum Lilly Lechner nicht zum Dienst antreten konnte.
Als er seinen Leuten die Wahrheit sagte, da saß der Schock bei ihnen tief. Keiner konnte es glauben. Sie sprachen durcheinander. Jeder wollte einen Kommentar abgeben.
Auch Frank Gilensa zeigte sich entsetzt. Zumindest nach außen hin.
Innerlich aber tobte er. Er wusste genau, was das bedeutete. Lilly Lechner war noch am Leben, und weil dies so war, würde sie aussagen können. Sie hatte ihn gesehen und sie würde ihre entsprechende Aussage machen.
Das war schlimm für ihn.
Eine Kollegin von der Rezeption fragte: »Weiß man denn, wer dieser grässliche Mörder ist?«
Herr Finke schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Wenn Lilly sich wieder gefangen hat, wird sie ihre Aussage machen. Eine perfektere Zeugin kann es nicht geben. Wann das sein wird, kann ich aber nicht sagen.« Er atmete tief durch und schlug ein neues Thema an. »Ich weiß, dass es für uns alle schwer ist, die Arbeit normal anzugehen. Aber wir müssen über unseren eigenen Schatten springen. Reißen Sie sich zusammen. Tun Sie Ihre Pflicht. Auch ich werde mich daran halten. Danke sehr.«
Keiner sprach. Stumm gingen sie auseinander, um sich wieder um die Arbeit zu kümmern.
Frank wollte als einer der Letzten durch die Tür gehen, wurde aber von seinem Chef zurückgehalten.
»Einen Moment noch, Frank.«
Der Angesprochene zuckte zusammen. Er fürchtete, dass er durchschaut worden war, riss sich aber zusammen und drehte sich langsam um.
»Ja, Chef?«
»Sie wissen ja, was geschehen ist. Und ich weiß, dass Sie und Frau Lechner oft zusammen gearbeitet haben. Ihr seid so etwas wie ein Team gewesen. Es muss schlimm für Sie
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