1638 - Leichenspur des Künstlers
gewesen sein, diese Nachricht zu hören, aber Sie müssen sich jetzt zusammenreißen. Wir alle müssen das heute noch mehr als sonst. Deshalb möchte ich, dass die Bar erst später eröffnet wird und Sie in den normalen Service gehen, wo Sie Frau Lechner ersetzen können. Ist das so in Ordnung?«
Frank Gilensa lächelte. »Natürlich, Chef. Das ist selbstverständlich.«
»Danke.«
»Noch eine Frage habe ich.«
»Bitte.«
Frank war ein guter Schauspieler. Er senkte den Kopf und flüsterte: »Wie schwer ist sie denn verletzt? Muss man…«, er schluckte, »… muss man damit rechnen, dass sie stirbt?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls ist sie in die Klinik geschafft worden. Dort kümmert man sich um sie. Außerdem haben wir zwei Polizisten im Haus. Sie sind mit ins Krankenhaus gefahren, um Lilly Fragen stellen zu können, wenn - nun ja, Sie wissen schon.«
»Danke für die Auskünfte, Chef.« Frank spielte seine Rolle ausgezeichnet. Wie es in seinem Innern aussah, ließ er sich nach außen hin nicht anmerken. Er kam wieder auf seinen Beruf zu sprechen. »Ich werde mich jetzt um den Wein kümmern. Ich habe mir notiert, welche Getränke für die Feier heute Abend bestellt worden sind.«
»Ja, tun Sie das. Viel Zeit haben wir leider nicht mehr.«
Frank Gilensa nickte und ging davon.
Er hatte den Raum hinter der Rezeption kaum verlassen, da ballte er die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte er losgeschrien. Es war seine eigene Dummheit gewesen, dass Lilly noch lebte. Er hätte die Wunden tiefer schneiden sollen. Er hätte auf ihr Leiden verzichten sollen.
Jetzt war es zu spät. Und wenn Lilly tatsächlich redete, war das für ihn so etwas wie ein Todesurteil. Sinclair und sein Freund Stahl würden zur Jagd auf ihn blasen. Zudem waren sie nicht allein. Er hatte erfahren, dass auch andere Beamte im Einsatz waren, die in der Gegend herumliefen und dafür sorgen wollten, dass in der Nacht nichts mehr passierte.
Das hätte er sowieso nicht getan. Er hatte den Zeitpunkt geändert, um ein neues Kunstwerk zu schaffen, aber das alles konnte er jetzt vergessen. Er musste umdenken und wusste schon jetzt, dass der Boden hier für ihn verdammt heiß geworden war.
Es gab für Frank Gilensa nur eine Möglichkeit. Das war die Flucht oder sein vorläufiges Versteck.
Niemand sprach ihn an. Er hatte gesagt, dass er sich um den Wein kümmern wollte. Die Flaschen befanden sich im Keller. Zu ihm führte auch ein Aufzug. Durch ihn wurde die Arbeit erleichtert. Da musste niemand die Flaschen hochschleppen.
Sinclair und sein Kollege waren noch nicht zurückgekehrt. So blieb ihm noch eine Galgenfrist, die er nutzen wollte.
Frank ging in den Keller. Er nahm die Treppe. Je näher er seinem Reich kam, umso ruhiger wurde er. Bevor er von hier verschwand, musste er noch mal sein Heiligtum betreten, das er sich eingerichtet hatte.
Im Weinkeller war er allein. Die kleine Tür im Hintergrund hatte er schnell geöffnet und stand bald vor seinem Altar.
Da es stockdunkel war und er nichts sehen konnte, zündete er eine Kerze an Ihr Schein reichte für ihn aus. Zudem hatte er nicht vor, lange zu bleiben, und er kam sich vor wie in einer kleinen Kapelle, die nur ihm gehörte.
Das schwache Licht erreichte auch die Fotos der Mörder an den Wänden. An manchen Stellen veränderten sich die Gesichter durch den flackernden Kerzenschein. Sie verloren ihre Starre. Zumindest wirkte das auf Frank so. Er sah jeden dieser Mörder an. Er konzentrierte sich einzig und allein auf sie und verfiel dabei in eine Art Trance.
Es war seine Welt. Das wollte er so. Aber es gab noch eine andere Welt für ihn. Die war nicht zu sehen und nur wenigen bekannt. Eine Dimension des Bösen, in dem sich die Seelen der Mörder aufhielten.
Das glaubte er, und so suchte er den Kontakt zu diesen Wesen, um von ihnen Kraft und Hilfe zu erbeten.
Dazu musste er tief in seine Trance hineingleiten. Auf nichts anderes konzentrieren, nur auf diese Welt. Er durfte sich nicht ablenken lassen, deshalb blies er die Flamme aus.
Jetzt war es stockfinster. Auch aus dem normalen Weinkeller drang kein Licht durch einen Türspalt. Es war einfach die absolute Stille und Dunkelheit, die Frank brauchte.
Und sie waren da.
Sie hatten ihn erhört. Er spürte das Andere, das ihn umgab. Seine Freunde wussten sehr genau, was ihm gut tat und was nicht. Sie standen auf seiner Seite. Sie wollten ihm die Kraft geben, die nötig war, die nächsten Stunden zu überstehen.
Sie sprachen
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