1647 - Engelstadt - Höllenstadt
nehmen und alle Engel deshalb verdammen. Es waren nur bestimmte Engel, die auf die Erde geschickt wurden. Man nannte sie Grigori.«
»Kenne ich nicht.«
Ich hob die Schultern. »Wer kennt sie schon. Es waren die Stummen, die Schweigsamen, die über uns Menschen wachen sollten, wie ich schon sagte. Das haben sie nicht getan und sich stattdessen mit den Menschen eingelassen. Die Nephilim, die Kinder, die aus dieser Verbindung entstanden, waren zur einen Hälfte Engel und zur anderen Mensch.«
»Meine Güte, John, das ist zu hoch für mich. Ich habe ja schon einiges mit dir erlebt, aber so etwas übersteigt meine Vorstellungskraft.«
»Das kann ich mir denken.«
»Und du kennst sie?«
»Ja, ich hatte bereits eine Begegnung mit ihnen. Es sind welche übrig geblieben. Nicht alle konnten vernichtet werden. Da hat der Schöpfer wohl einen Fehler gemacht, denn er verstieß die Grigori und verdammte sie zum Aussterben.«
»Aber nicht alle - oder?«
»Einige haben sich wohl retten können.«
Nach einer Weile fragte die Tierärztin: »Wenn du sie gesehen hast, dann weißt du auch, wie sie aussehen - oder?«
»Ja, ich habe sie als geflügelte Wesen erlebt, die einen bestimmten Geruch abgaben.«
»Den wir hier gerochen haben.«
»Genau.«
»Dann müssen wir uns jetzt entscheiden, mit wem wir es zu tun haben. Mit den Nephilim oder den Ghouls.«
»Das müssen wir. Ich habe sie gerochen, und ich habe sie verfaulen sehen, dass kann ich dir auch sagen. Dieses alte, widerliche Fleisch verfaulte und gab einen Gestank ab, der mir den Atem raubte.«
»Und du hast sie vernichtet?«
Meine Erinnerung an diesen Fall war noch frisch, so konnte ich eine Antwort geben.
»Nein, ich habe sie nicht direkt vernichtet. Nur indirekt. Ich habe ihre Vernichtung jedoch eingeleitet, denn den entscheidenden Schlag führten andere, die schon zu Urzeiten ihre Feinde gewesen waren. Eben die echten Engel.«
Maxine hatte mitgedacht und fragte leise: »Die von deinem Kreuz?«
»Ja, die Erzengel.«
Sie sagte nichts. Es war zu sehen, dass sie eine Gänsehaut bekam.
Beide Hände drückte sie gegen ihre Wangen.
»Ich hatte gedacht, dass sie alle vernichtet wären, doch jetzt bin ich eines Besseren belehrt worden.«
Maxine hatte schnell begriffen. »Dann gehst du davon aus, dass Carlotta von den Nephilim entführt worden ist. Von Geschöpfen, die halb Engel und halb Mensch sind.«
»Das könnte zutreffen.«
Die Tierärztin senkte den Kopf und schüttelte ihn.
»Das ist grausam«, flüsterte sie. »Wir stehen hier und wissen nicht, was wir unternehmen sollen.« Ihr Blick zuckte hoch und konzentrierte sich auf mich. »Oder?«
Ich hatte gewusst, dass die Frage kommen würde, und ich war nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Ich war ratlos.
Das merkte Maxine sofort. »Siehst du denn eine Chance, dass wir Carlotta noch mal wiedersehen werden?«
»Moment, Max. Aufgeben werden wir nicht. Wir werden sie suchen.«
»Und wo beginnen wir damit? Hier ist nichts mehr zu machen. Sie sind weg, zusammen mit Carlotta und dieser Livia, deren Rolle ich nicht kenne. Sie könnte auch eine Nephilim sein, denke ich.«
»Das weiß ich nicht. Als Nephilim hätte sie sich anders verhalten, denke ich.«
»Ja, ja, aber hast du nicht gesagt, dass diese Gestalten fliegen können?«
»Das habe ich.«
»Dann können sie so weit weg sein…« Maxine sprach nicht mehr weiter und winkte ab.
Ich hätte sie gern getröstet, aber ich wusste nicht, was ich ihr noch sagen sollte. Einer Spur konnten wir nicht folgen. Wir mussten nur ein paar Schritte gehen, dann war der Geruch verschwunden.
Maxine fasste zusammen, was sie dachte. »Also stecken wir in einer Sackgasse und wissen nicht, wie wir da herauskommen.«
»Im Moment sieht es so aus«, gab ich zu.
Maxine Wells hob nur die Schultern.
Mehr konnten wir beide leider nicht tun…
***
Sie waren da, und Carlotta wusste nicht, wie sie an diesen Ort gekommen waren. Ihre Bewusstlosigkeit war noch nicht ganz verflogen.
Sie kam sich vor wie jemand, der aus einem tiefen See allmählich an die Oberfläche steigt. Die Dunkelheit verschwand, und Carlotta hörte eine Stimme, die ihr bekannt vorkam, wobei sie im Moment nicht wusste, wie sie sie einordnen sollte.
»Wir leben noch…«
Die Botschaft sollte ihr Hoffnung machen. Nur war sie noch nicht fähig, das alles zu begreifen, denn etwas war mit ihrem Kopf passiert. Dort verspürte sie einen starken Druck, der sich besonders im hinteren Teil ausbreitete.
Zwei Hände
Weitere Kostenlose Bücher