1647 - Engelstadt - Höllenstadt
weiterhin die Fahrerei und kümmerte mich um die Landschaft. Sie bestand aus einer sanften Hügelkette, auf der sich hin und wieder Bewuchs zeigte. Nur ab und zu gab es hier Waldinseln, meist Niederwald und wildes Gestrüpp.
Zwar hatte Maxine mir nicht gesagt, wie weit der See vom Ort aus entfernt lag, doch ich ging davon aus, dass wir nicht mehr lange zu fahren brauchten, um das Gewässer zu erreichen.
Das traf auch zu.
Nachdem eine Kurve hinter uns lag, die um einen Hügel herumgeführt hatte, sahen wir das Gewässer flach vor uns liegen. Mit einer Oberfläche, auf der ein schwacher Wind ein Kräuselmuster hinterlassen hatte. Das Wasser wirkte dunkel, als hätte jemand blaue und grüne Tinte miteinander vermischt.
»Geschafft!«, murmelte ich.
»Nein, John. Höchstens ein Teilstück. Oder kannst du mir sagen, wo wir Carlotta finden können?«
»Leider nicht. Aber hat sie dir nicht so etwas wie eine Beschreibung übermittelt?«
»Ja, das hat sie.« Maxine fuhr langsamer, damit sie mehr Zeit hatte, sich umzuschauen, und sie deutete auf das von uns aus gesehen linke Ufer hin.
Dort wuchs der Niederwald. Bäume, die nicht sehr hoch wurden, aber auch große Teile ihres Laubes verloren hatten, sodass sich ein bunter Teppich hatte bilden können.
Auch jetzt fielen noch Blätter ab, landeten zumeist auf dem Boden. Aber einige von ihnen wurden auch bis auf das Wasser getrieben, wo sie wie kleine Boote schaukelten.
Die Konsistenz des Erdbodens änderte sich. Er wurde weicher. Wir waren etwas zu nahe an das Ufer herangekommen und suchten nach einem Platz, an dem wir anhalten konnten.
Der war bald gefunden. Ein paar wenige Schritte reichten aus, um den See zu erreichen.
»Hier hätte Carlotta eigentlich warten sollen«, bemerkte Maxine und hob die Schultern. »Sie ist verschwunden.«
Ich hatte den gepressten Klang ihrer Stimme gehört und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Bitte, Max, noch ist nichts entschieden. Wir schaffen das schon.«
»Meinst du?«
Ich knuffte sie an. »He, was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so pessimistisch.«
»Ich weiß. Aber heute ist alles anders. Ich habe ein ziemlich schlechtes Gefühl. Bisher ist alles gut gelaufen, was Carlottas Aktivitäten betraf, aber jetzt…?«
»Noch wissen wir nichts, Max. Und was sie alles in der Vergangenheit erlebt hat, war nicht von schlechten Eltern. Sie hat es jedes Mal geschafft. Daran solltest du auch denken.«
»Ja, das weiß ich. Trotzdem mache ich mir Vorwürfe. Es liegt in meiner Natur. Ich muss ja tagtäglich mit der Befürchtung leben, dass Carlottas Geheimnis entdeckt wird. Und das ist nicht leicht.«
»Stimmt.«
Maxine ließ das Thema bleiben, sie wischte einmal kurz über ihre Augen und blickte sich um, wobei sie die niedrigen Bäume genau beobachtete.
Sie entfernte sich ein paar Meter von mir und hielt dann an. Dabei breitete sie ihre Arme aus und nickte.
»Ich glaube, dass ich den Ort gefunden habe, John.«
»Okay.« Ich ging zu ihr und suchte den Boden nach Spuren ab. Zu finden waren keine. Uns fiel nichts auf. Außerdem änderte sich das Bild ständig, weil der Wind die Blätter immer wieder bewegte.
Ich ging an Maxine vorbei, weil ich mich auch zwischen den Bäumen umschauen wollte. Es konnte sein, dass Carlotta etwas hinterlassen hatte, was uns auf ihre Spur bringen sollte. Leider musste ich passen.
Da war nichts zu entdecken.
Oder doch?
Mir fiel etwas anderes auf. Das lag nicht auf dem Boden, sondern in der Luft.
Es war der Geruch!
Im ersten Moment stutzte ich, weil ich an eine Täuschung glaubte. Dann fing ich an zu schnuppern, und zwar so laut, dass Maxine Wells aufmerksam wurde.
»Was ist denn los, John?«
Ich streckte einen Arm zur Seite. »Warte noch.« Ich wollte mich in meiner Konzentration nicht stören lassen. Dabei ging ich einen kleinen Schritt nach vorn, schloss sogar die Augen, um mich besser auf den Geruch konzentrieren zu können, und wusste in diesem Augenblick, dass ich mich nicht geirrt hatte.
Ja, er war vorhanden!
Maxine hatte mich erreicht. Sie stand jetzt so dicht neben mir, dass sie mich berührte. Auch sie saugte die Luft ein und drehte ihren Kopf zur Seite, um mich anzuschauen.
»Was ist das für ein ekliger Geruch?«
»Das ist sogar ein Gestank.«
»Ja. Und weiter?«
Meine Stimme war nur ein Flüstern, als ich sagte: »Es ist der Geruch von Verwesung. Leichengestank, um es drastischer zu sagen…«
***
Die Erklärung hatte keinem von uns Freude bereitet, aber sie
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