1647 - Engelstadt - Höllenstadt
bleiben und suchen - oder warten?«
Die Antwort war schwer. Wie wir es auch drehten und wendeten, es gab nichts, was sicher war, abgesehen davon, dass zwei Menschen entführt worden waren.
Der Gestank hatte sich allmählich verflüchtet. Jetzt wies nichts mehr darauf hin, dass in dieser Gegend ein Drama stattgefunden hatte. Alles war wieder normal geworden.
Um überhaupt irgendetwas zu tun, ging ich auf das Ufer zu. Ich wollte nicht ins Wasser gehen, nur noch mal überlegen, ob wir wirklich nichts unternehmen konnten.
Auf halber Strecke erwischte es mich. Das heißt, nicht mich, sondern mein Kreuz, das sich plötzlich erwärmte und ich diesen Hitzestoß schon schmerzhaft auf meiner Haut wahrnahm.
Keinen Schritt ging ich weiter.
Warten, konzentrieren, darauf achten, ob es einen zweiten Wärmestoß gab.
Der trat nicht ein. Dafür ein anderes Ereignis, über das ich mich schon wunderte, denn mein Handy vibrierte. Jemand wollte mich in diesem wichtigen Moment sprechen.
Ich musste mich zwischen Kreuz und Handy entscheiden. Viel Zeit zum Überlegen hatte ich nicht, und so entschied ich mich für das Handy.
Komischerweise war ich nervös, als ich meine Hand in die Tasche schob.
Auch Maxine war etwas aufgefallen. Sie schob sich auf mich zu, sprach mich allerdings nicht an und schien zu spüren, dass ich nicht gestört sein wollte.
Ich klappte das Handy auf. Der erste Blick brachte mir nicht viel. Es war keine Telefonnummer auf dem Display zu sehen. Eigentlich sah ich gar nichts, nur eine andere Farbe, die nicht mehr blass, sondern beige war.
Was konnte das bedeuten? Für mich stand fest, dass es sich nicht um einen normalen Anruf handelte. Es war auch möglich, dass man mir eine SMS oder ein Foto schicken wollte. Obwohl sich in den folgenden Sekunden noch nichts tat, behielt ich das Handy in der Hand und erlebte zugleich, dass sich mein Kreuz auch weiterhin meldete, was ich schon seltsam fand.
In meiner Nähe hörte ich Maxine Wells heftig atmen. Sie war ebenfalls recht nervös. Sie sagte aber nichts.
Dann passierte es.
Auf dem kleinen viereckigen Bildschirm veränderte sich die Farbe zwar nicht, aber es gab doch eine Veränderung, die dafür sorgte, dass sich meine Augen weiteten.
Ein Bild erschien.
Es baute sich langsam auf, und ich erkannte, dass es sich um einen Rundbau handelte. Ich wollte es nicht mit dem Kolosseum in Rom vergleichen, aber es besaß schon Ähnlichkeit mit einer Arena. Es war sogar eine.
Ein fast antiker Rundbau, den ich noch nie gesehen hatte. Das musste etwas zu bedeuten haben, das war ein Hinweis, an dem mein Kreuz nicht unbeteiligt war. Den Beweis dafür hatte ich nicht, nur den festen Glauben, und der sollte zu einem Wissen werden, deshalb musste ich das Kreuz freilegen.
Jetzt war es gut, dass Maxine in meiner Nähe stand. Sie beobachtete mich von der Seite und ihr war anzusehen, dass sie meine Situation verstand. Deshalb hielt sie sich auch mit Fragen zurück.
»Bitte, Max, nimm das Handy.«
»Okay.«
Sie nahm es mir aus der Hand, was gut war, denn so hatte ich beide Hände frei.
Jetzt ging es nur um mein Kreuz. Ich wollte endlich wissen, weshalb es mir diese Botschaft geschickt hatte, zog behutsam an der Kette im Nacken und verfolgte den Weg meines Talismans, wie der an meiner Brust hoch glitt.
Ich streifte die Kette über den Kopf. Einen vollen Blick hatte ich dem Kreuz noch nicht gegönnt, das tat ich erst jetzt, als es auf meiner linken Handfläche lag.
Die Wärme war nicht völlig verschwunden. Den Rest empfand ich sogar als angenehm, und jetzt musste ich mich auf dieses Erbe konzentrieren.
Ich schaute genauer hin.
Es war ein Augenblick, in dem ich das Gefühl hatte, zu einer transzendentalen Person zu werden. Ich stand noch auf der Stelle und kam mir vor, als hätte meine Seele oder was immer es sein mochte, meinen Körper verlassen. Ich schwebte über den Dingen und stand dicht vor einem Erlebnis, wie ich es noch nie durchgemacht hatte.
Das Kreuz hatte seine Form nicht verändert. Und doch war etwas mit ihm geschehen. Aus ihm strahlte eine Kraft, die von anderen Wesen auf das Kreuz übertragen worden war.
An den Enden sah ich es.
Dort befanden sich die Buchstaben. Die Anfangsbuchstaben von vier Erzengeln.
Jetzt waren sie verschwunden. Nein, nicht völlig, ich sah sie noch sehr blass. Das M, das G, das R und das U waren kaum noch zu erkennen, weil sich darüber schwach und wie mit Aquarellfarben gemalt Gesichter zeigten.
Gesichter, die keine scharfen Konturen
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