1647 - Engelstadt - Höllenstadt
Stäbe, denn nur so konnte sie den richtigen Halt finden. Hätte sie das Eisen losgelassen, wäre sie womöglich in die Knie gesackt, denn ihre normale Stärke war noch längst nicht zurückgekehrt.
Eigentlich wollte sie nicht in die Arena schauen. Es war einfach zu viel für sie. Doch da gab es die andere Kraft in ihrem Innern, die sie dazu zwang, ihren Blick nach unten in die Tiefe zu richten, um zu sehen, was sich dort abspielte.
Ihre Lippen zitterten. Sie sprach irgendwelche Sätze und wusste selbst nicht, was sie da sagte. Sie hatte nur Augen für Livia, die in dem großen Rund und zwischen den Leichen so verloren wirkte wie ein Fremdkörper.
Sie war einige Schritte gegangen und hatte dann angehalten. Den Grund kannte Carlotta nicht. Wahrscheinlich wollte sie sich erst einen genaueren Überblick verschaffen oder suchte nach einem Fluchtweg.
Dann ging sie weiter. Und sie blickte dabei auch in die Höhe, wo die falschen Engel noch immer über der Arena ihre Kreise zogen, aber langsam tiefer sanken.
Livia war der Mittelpunkt. Eine junge Frau oder ein Engel der unteren Stufe, deren Mitglieder eine leichte Beute für die Nephilim waren.
Auf dem Boden der Arena lagen die Leichen verstreut. Wer sie mal im richtigen Leben gewesen waren, das wusste Carlotta nicht. Ihr war nur klar, dass bald eine neue Leiche hinzukommen würde, und sie würde Zeugin von etwas Grauenhaftem werden.
In der Arena ging Livia keinen Schritt weiter. Sie hatte ungefähr die Mitte erreicht und blieb dort stehen. Sie wirkte so schwach und hilfsbedürftig, niemand würde ihr zur Seite stehen - auch Carlotta nicht, denn auch sie war eine Gefangene. Wäre das Fenster größer und nicht vergittert gewesen, hätte sie hindurchklettern und Livia zu Hilfe kommen können.
Ja, sie hätte es versucht, trotz der vier Gestalten in der Luft. So mutig war sie.
Aber sie kam nicht weg, und sie musste mit ansehen, wie ein geflügeltes Wesen nach unten stieß. Seine ausgestreckten Arme glichen Greifern, deren Hände sich schlossen, als sie Livia erreichten.
Es bedurfte keiner Kraftanstrengung, den Körper in die Höhe zu reißen.
Carlotta glaubte, einen Schrei zu hören, war sich aber nicht sicher, und es spielte letztendlich auch keine Rolle. Helfen konnte sie nicht, sie stand nur da und schaffte es einfach nicht, die Augen zu schließen.
Unsichtbare Hände schienen sie festzuhalten und zwangen sie, dem Vorgang zuzuschauen.
Livia wurde nur mit einer Hand gehalten, als die Gestalt eine bestimmte Höhe erreicht hatte. Ihr Körper pendelte hin und her und befand sich mit der Zuschauerin praktisch in Augenhöhe.
Das war bewusst so eingeleitet, denn Carlotta sollte erkennen, was auch ihr bevorstand.
Der pervertierte Engel drehte sich mit seiner Beute in der Luft. Er hielt sie jetzt wieder mit zwei Händen fest und schwang sie wuchtig nach vorn.
Carlotta zuckte unwillkürlich zurück, als Livia auf die Innenmauer zugeschleudert wurde. Aber sie prallte nicht gegen sie, sondern gegen den Fensterausschnitt. Da war der Aufprall als ein schreckliches Geräusch zu hören, und Livias leise Schreie empfand Carlotta als fürchterliche Botschaft. Sie sah auch das Gesicht der Gequälten. Es war voll gegen die Mauer geschlagen und deformiert worden.
Aus den Wunden quoll kein Tropfen Blut, so grausam das Gesicht auch aussah. Es war zu einer entstellten Masse geworden. Der Kopf fiel zur Seite und Carlotta hoffte, dass Livia dies bewusst nicht mehr erlebte.
Einen zweiten Aufprall verkniff sich das Wesen. Ein paar Flügelschläge, eine schnelle Drehung, dann flog die geflügelte Bestie wieder zur Mitte der Arena. Das Opfer hing wieder an einer Hand und pendelte wie ein Gewicht, das plötzlich fallen gelassen wurde.
Es geschah so plötzlich, dass Carlotta einen Schrei nicht unterdrücken konnte. In rasender Geschwindigkeit verschwand Livia vor ihren Augen.
Sie sah sie erst wieder, als sie auf den Boden prallte, wo sie verkrümmt und leblos liegen blieb.
Sie kann nicht mehr leben. Das schaffte keiner. Sie haben sie einfach umgebracht! Diese Gedanken beschäftigten Carlotta, die inzwischen die Augen geschlossen hielt, weil sie einfach nichts mehr sehen konnte und auch nicht wollte.
Es war still geworden. Das Vogelmädchen hatte sich noch immer nicht von der Stelle bewegt. Nach wie vor umklammerten die Hände die Stäbe wie einen Rettungsanker, was auch sein musste, denn sie hatte das Gefühl, von einem schweren Gewicht nach unten gezogen zu werden.
Sie zitterte und
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