1647 - Engelstadt - Höllenstadt
ohne Vorwarnung, aber wir spürten die Veränderung, denn beide hatten wir den Eindruck, als würde etwas unser Gesicht berühren, etwas sehr Weiches, das sich anfühlte wie ein warmer Nebelschleier, den Wir mit zwei Schritten hinter uns ließen.
Wir waren da!
Wir standen vor dem Bau, und er kam uns jetzt höher vor als aus der Ferne. Ein regelrechter Koloss, dessen Anblick uns aber nicht weiterbrachte, denn es tat sich nichts. Zumindest nicht außen und auch nicht hoch auf dem Mauerrand.
Als hätten wir uns abgesprochen, gingen wir nicht mehr weiter. Dafür suchten wir mit unseren Blicken das Mauerwerk ab.
Es war Maxine, die ihren Arm ausstreckte, nach links schwang und auf ein offenes Tor deutete, das in die Mauer eingelassen war.
»Da, John.«
»Okay.«
»Warum ist es nicht geschlossen? Hat man uns erwartet?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Wir werden es herausfinden. Noch mal die Frage, Maxine…« Ich holte Luft, um sie auszusprechen, aber die Tierärztin kam mir zuvor.
»Nein, John, ich gehe nicht zurück, ich bleibe bei dir, denn ich will wissen, was mit Carlotta passiert ist.«
»Gut, dann…«
Das nächste Wort wurde mir von den Lippen gerissen, denn beide hatten wir den hellen Frauenschrei gehört.
Carlotta?
Wir stellten uns die Frage nicht, sondern liefen auf den breiten Eingang zu…
***
Carlotta würde das Bild der toten Livia nie mehr in ihrem Leben vergessen. Falls es noch ein Leben für sie gab, aber danach sah es nicht aus.
Stehen konnte sie nicht mehr. In die Arena schauen wollte sie auch nicht, und so hockte sie unter dem Fenster auf dem Steinboden und starrte ins Leere.
Es war still geworden. Sie wusste nicht, ob sie darüber froh sein sollte oder nicht. Im Moment tat ihr die Stille gut. So konnte sie ihre Gedanken sammeln. Bilder, die nicht hierher gehörten, stiegen wieder vor ihrem geistigen Auge auf. Sie sah sich als Gefangene in diesem furchtbaren Forschungslabor des Professors Elax. Da hatte sie auch nicht gewusst, was die nächste Stunde bringen würde. Aber sie hatte sich nie in einer so starken Lebensgefahr befunden wie jetzt.
Noch war niemand da. Noch hörte sie nichts. Die verfluchten Engelwesen ließen sich Zeit. Sie wollten das Warten noch schlimmer machen. Die Arena wartete auf sie, das stand fest.
Und dann? Würde man ihr dann auch den Kopf abreißen? Oder die Arme, die Beine und die Flügel?
Das Vogelmädchen musste mit allem rechnen. Je mehr Vergleiche ihr in den Sinn kamen, umso stärker wurde die Angst, die irgendwann ihre Seele fressen würde.
Hilfe - gab es die überhaupt?
Nein, damit konnte sie nicht rechnen. Wie sollte Maxine Wells sie auch finden? Das war so gut wie unmöglich, und sie dachte dabei so intensiv an die Ziehmutter, dass ihr die Tränen kamen.
Maxine würde trauern. Sie würde ihr Leben nicht mehr so weiterführen können. Vielleicht gab sie alles auf oder verfiel in Depressionen, weil sie hatte einsehen müssen, dass die andere Seite, die der Finsternis, einfach zu stark war.
Sie wischte über ihre Augen. Dann zog sie die Nase hoch. Genau das Geräusch wurde von einem anderen übertroffen, das sie an der Tür gehört hatte. Noch draußen, und sie glaubte auch nicht, dass sie sich geirrt hatte.
Was soll ich tun? Sitzen bleiben? Aufstehen? Kämpfen und einen Fluchtversuch wagen? Vor allem erst einmal raus aus diesem Verlies, dann würde sie weitersehen.
Es waren gute Gedanken, die durch ihren Kopf strömten und auch dafür sorgten, dass ihre innere Schwäche verschwand. Sie durfte jetzt nicht an das denken, was mit Livia passiert war. Jetzt ging es um sie und darum, dass sie ihr Leben rettete.
Mochte die innere Schwäche auch verschwinden, die körperliche blieb bestehen. Man hatte sie schlimm behandelt, und das spürte sie an verschiedenen Stellen ihres Körpers, wobei der Druck in ihrem Kopf auch nicht völlig verschwunden war.
Und jetzt kamen sie.
Nein, sie waren schon da!
Das Kratzen an der Tür war nicht zu überhören. Carlotta fragte sich, warum sie es so deutlich vernahm. Wahrscheinlieh wollte ihr die andere Seite Angst einjagen. Was kann ich tun?
Es war eine Frage, die auf ihrer Seele brannte, und die Antwort wusste sie nicht. Sie hatte vieles erlebt und sich trotz allem noch eine gewisse Würde bewahrt. Deshalb stand sie auf. Es war nicht leicht für sie, das Gleichgewicht zu bewahren. Wieder fand sie die Wand als Stütze und hörte sich heftig atmen.
Dann bewegte sich die Tür!
Erst nur ein winziges Stück und
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