1647 - Engelstadt - Höllenstadt
auch leicht ruckartig. Einen Moment später wurde sie aufgestoßen und präsentierte das Grauen in Form zweier Gestalten.
Natürlich nahmen sie die gesamte Türbreite ein, und natürlich war es Carlotta unmöglich, an ihnen vorbeizukommen. Ihre Gedanken an Flucht konnte sie vergessen.
Sie hörte ein Geräusch, das wie ein scharfes Atmen klang. Es fauchte ihr entgegen und war aus den Mäulern gedrungen, die als Löcher in den Gesichtern der beiden Gestalten zu sehen waren.
Carlotta konzentrierte sich auf die Augen. Blass lagen sie in den Höhlen.
Da war kein Ausdruck zu sehen. Fast so grau wie alte Haut, die jedoch keine Falten zeigte.
Über die Schultern hinweg ragten die Spitzen der Flügel, die leicht zitterten, und bei diesem Anblick schoss eine Idee durch den Kopf des Vogelmädchens.
Auf keinen Fall durfte sie den Gestalten Widerstand entgegensetzen. Sie musste so tun, als hätte sie aufgegeben. Sie durfte erst reagieren, wenn sie die Arena betreten hatten.
Deshalb verhielt sie sich ruhig. Das Zittern unterdrückte sie nicht. Es kam ihr sogar entgegen. Es ließ sie hilfloser erscheinen, und sie streckte auch ihre Arme vor, um es zu dokumentieren.
Die zwei Nephilim ließen sich davon nicht abhalten. Sie kamen näher und flüsterten miteinander. Ihre Stimmen hörten sich zischend an und auch bösartig. Die starren Augen waren auf die Gefangene gerichtet.
Lippen fielen in den grauen Gesichtern nicht auf, und der nächste lange Schritt brachte sie nahe an Carlotta heran.
Carlotta senkte den Kopf. Es war ein Zeichen der Demut und der Aufgabe. Sie konnte nicht vermeiden, dass man sie anfasste, nachdem sie von den beiden Gestalten in die Zange genommen worden war.
Die Berührungen waren ihr unangenehm. Haut traf auf Haut, und Carlotta spürte, dass die Haut der Wesen neutral war. Da gab es weder Wärme noch Kälte.
Sie spürte den leichten Ruck und wurde von der Wand weggezogen.
Die Nähe der beiden Nephilim war schlimm. Da war auch der Gestank, der dem Vogelmädchen den Atem raubte.
Die Nephilim führten sie aus dem Verlies und in den Gang hinein, dessen Ende nicht zu erkennen war. Die Düsternis hörte allerdings weit vor ihr auf. Dort sah sie einen hellen Streifen, und wahrscheinlich mussten sie dahin gehen.
Bisher hatte niemand mit ihr gesprochen. Carlotta war sich nicht sicher, ob die grauen Gestalten überhaupt reden konnten, und das wollte sie feststellen.
»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte sie.
Sie war verstanden worden, denn es erfolgte eine Antwort, die mit einer flüsternden und auch kratzigen Stimme gegeben wurde.
»Du wirst hier dein Ende finden.«
Die Antwort schockte sie nicht. Sie hatte damit gerechnet. Aber es tat sich eine andere Frage auf.
»Und warum? Was habe ich euch getan?«
»Du hättest sie in Ruhe lassen sollen.«
»Wen? Livia?«
»Ja.«
Damit war Carlotta nicht einverstanden. »Sie brauchte Hilfe. Sie ist gejagt worden, und ich konnte dabei nicht einfach nur zuschauen und nichts tun.«
»Dafür wirst du auch sterben!«
Das war ein Versprechen, sie wusste das.
Sie schritten durch den düsteren Gang, der an der linken Seite durch das Mauerwerk geschlossen war. Rechts zur Arena hin gab es jetzt mehrere Öffnungen, die recht schmal waren und durch die man nach unten schauen konnte, was das Vogelmädchen tunlichst vermied.
Nach wie vor wurde sie von zwei Seiten gehalten, und es kam zu einem plötzlichen Stopp. Carlotta war leicht irritiert. Sie hoffte für einen Moment, dass es sich die beiden anders überlegt hatten. Das jedoch trog, sie wollten ihr nur eine weitere Erklärung geben.
»Deine Freundin hat sich in ein Gebiet begeben, das nur uns gehört. Es war ihr Fehler. Wer sich hierher verirrt, wird vernichtet. Es ist unsere eigene Engelwelt, eine von vielen.«
Carlotta schüttelte den Kopf. »Ihr seid keine Engel, keine Geschöpfe des Himmels. Ihr seid Dämonen. Freunde der Hölle und des Teufels, nichts anderes!«
Ein kaltes Lachen erreichte ihre Ohren von zwei Seiten. Dann sprachen beide zugleich. »Es gibt Engel und Engel. Wir gehören zu den anderen. Wir haben unsere Väter verloren, denn die Grigori wurden von einer höheren Macht verdammt. Aber nicht alle konnten ausgelöscht werden. Wir sind übrig geblieben, auch wenn uns die Menschen vergessen haben. Aber es gibt uns noch, wir erscheinen in manchen Sagen und Legenden der Menschen, und sogar die Geschichte hat uns erwähnt. Wir haben uns versteckt gehalten, aber es gibt Zeiten, da müssen wir unsere
Weitere Kostenlose Bücher