165 - Am heiligen Berg
und fügte hinzu: »Sie ist eine wunderschöne Frau!«
»Sie ist eine Kriegerin, und sie hat vorhin zwei Angreifer erschlagen!«, piepste Yinjo so unerwartet wie stolz. Er sprach Bajaatisch, aber das war dem Ti'baitischen ähnlich genug, dass man die Aussage mitbekam.
Tandra Meeru war entsetzt. Er wandte sich an Aruula.
»Dein Sohn sagt, du hättest zwei Männer getötet?«
»Ja, die beiden anderen konnten fliehen«, seufzte die Barbarin und fügte mit einem Kopfnicken auf Yinjo hinzu:
»Aber er ist nicht mein Sohn! Yinjos Familie ist tot. Ich habe sie vorhin in der Ebene begraben. Den Jungen bringe ich zu euch.«
Tandra Meeru überliefen kalte Schauer. Wie ist das möglich?, fragte er sich. Wie kann sie derart schreckliche Taten zugeben und dabei so unschuldig aussehen?
»Wir brauchen ein Quartier für die Nacht«, hörte er Aruula sagen. »Es ist bestimmt noch Platz in eurem Kloster. Aber vorher will ich wissen, was es mit dem Daa'murenkristall auf sich hat!«
***
März 2520
Eine wärmende Frühlingssonne begleitete Quong Ho auf seinem Ritt nach Shen Chi, der Stadt der Hundert Tore. Vom fernen Kratersee wehte ein angenehmes Lüftchen in die Ebene, Reisfelder und Wiesen grünten vor sich hin, und über den glitzernden Wellen des Yang-Yang surrten Wolken frisch geschlüpfter Tsekis ( große Mücken, gelten als Delikatesse ).
Quong Ho starrte missmutig vor sich hin. Ein Jahr war vergangen, seit sein Vetter den Lavadrachen bezwungen hatte, und noch immer wurde Ki Ling als Himmlischer Hüter gefeiert. Dabei verdankte er diesen Sieg nur Quong Hos genialem Opium-Trick! Der Cinnese beugte sich aus dem Sattel und spuckte auf den Weg. Er hatte eindeutig zu gute Arbeit geleistet!
Die Stadt kam in Sicht, mit ihren verwitterten Toren und dem Heer kleiner Hütten. Sie bestanden aus geflochtenen Schilfmatten. Der Rohstoff wuchs in schier unerschöpflicher Menge an den Ufern des Yang-Yang, also praktisch vor der zukünftigen Haustür, und so verwunderte es eigentlich nicht, dass Shen Chi von Jahr zu Jahr größer wurde.
Dennoch runzelte Quong Ho die Stirn. Er war seit Monaten nicht mehr hier gewesen, und es kam ihm vor, als wurde die Stadt allmählich aus den Nähten platzen.
»Den Leuten geht es zu gut!«, sagte sein Begleiter und trieb das Pferd auf gleiche Höhe mit Quong Ho. »Sie vermehren sich wie die Tsekis!«
»Und preisen den Himmlischen Hüter. « Quong Ho sah den jungen Gefährten prüfend an. Tao war sein Vetter, einer von vielen, und er schien loyaler zu sein als Ki Ling.
»Wirst du ihn töten?«, fragte Tao.
Quong Ho drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »So lange das Volk ihn anbetet, bleibt er schön auf seinem Thron! Ki Ling kann nach Herzenslust die Steuern erhöhen…«
»Das hat er doch schon!«, unterbrach ihn Tao überrascht.
»Ja, ja«, sagte Quong Ho langgezogen und mit vieldeutigem Schmunzeln. Ki Ling hatte sich erstaunlich leicht in seine Rolle als Oberster Herrscher hineingefunden und den kleinen Cinnesenstaat bereits innerhalb eines einzigen Jahres deutlich verändert. Er hatte die Todesstrafe eingeführt, die Steuern verdoppelt und ein Gesetz erlassen, das den freien Handel der Perlenfischer unterband. Die Herrscherprobe war abgeschafft. Fortan blieb man Himmlischer Hüter auf Lebenszeit, und das Amt wurde vom Vater auf den Sohn vererbt.
»Ich verstehe nicht, worauf du wartest!«, sagte Tao. »Es wird jetzt schon schwierig genug, auf den Thron zu kommen – aber wenn Ki Ling erst einen Sohn hat, kannst du das ganz vergessen!«
Quong Ho winkte ab. »Bisher hat er nur Töchter produziert. Sollte er einen Jungen zustande kriegen, heirate ich Ki Lings Witwe. Sie ertrinkt dann beim Baden, der Sohn gleich mit, und alle Hindernisse sind aus dem Weg.« Er nickte Tao zu. »Hier kommt eine Lektion fürs Leben, mein junger Freund: Wenn du Rache willst, musst du kalt werden wie der Wind in den Bergen, still wie ein Fels – und so bedächtig wie eine Lan Tuc ( Flussschnecke, 1 m lang, essbar )!«
Die Männer erreichten eine sonnige Wiese am Flussufer.
Dort waren Lager aufgeschlagen, Feuerstellen errichtet und Lastentiere angepflockt. Es war Marktmonat in Shen Chi!
Seit der letzte Kaiser Cinna an die Handelsroute Induu/Kratersee angeschlossen hatte, trafen hier jeden Frühling Händler ein. Die meisten stammten aus der näheren Umgebung und den angrenzenden Kleinstaaten. Doch es kamen auch Leute aus der Ferne, und manche waren so exotisch wie die Erzeugnisse, die sie anboten.
Da waren
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