165 - Am heiligen Berg
Himmlischen Hüters, und ich wünsche Seine Majestät zu sprechen«, sagte der Cinnese kühl. Vielleicht waren die Wachen neu, vielleicht hatte er auch genügend Selbstverständlichkeit geheuchelt – jedenfalls ließ man ihn hinein.
Unnatürliche Wärme schlug Quong Ho entgegen, als er den Palast betrat. Offenbar wurde in allen Räumen geheizt, trotz der milden Frühlingsluft draußen. Doch das war nicht die einzige Veränderung seit dem Tod des letzten Kaisers.
Überall standen Wachen. Quong Ho musste seine Waffen abliefern, wurde bis auf die Haut durchsucht und dann mit einer Eskorte zu den kaiserlichen Gemächern geschickt. Man schärfte ihm ein, sich unterwegs nur ja nicht einem der Höflinge zu nähern, die geschäftig durch die Flure liefen.
Quong Ho verstand den Sinn dieses Befehls erst, als er zufällig sah, wie einer der Bediensteten einem anderen heimlich etwas zusteckte.
Es wird schwer werden, Ki Ling zu töten, seufzte er in Gedanken. Wie schwer genau, das wurde Quong Ho erst klar, als er den Thronsaal betrat. Ki Ling saß am anderen Ende des Raumes – flankiert von bewaffneten Männern. Sie trugen schwarze Kleidung und Gesichtstücher mit dem aufgestickten Bild des Lavadrachen. Quong Ho runzelte die Stirn. Die beiden Kerle vom Stadtrand, die das alte Weib niedergeschlagen hatten, gehörten also tatsächlich zum Palast! Was hatte das zu bedeuten?
»Mein lieber Vetter! Willkommen!«, rief der Himmlische Hüter und breitete die Arme aus. Quong Hos Stirnrunzeln vertiefte sich. Diese Freundlichkeit war zu groß, um echt zu sein!
»Ich muss mit dir reden«, sagte Quong Ho und trat ein paar Schritte vor. Die Schwarzgekleideten griffen nach den Schwertern.
»Halt, halt, halt!«, rief Ki Ling süßlich lächelnd, als spräche er zu einem ungezogenen Kind. Er zeigte auf den Boden, und Quong Ho stutzte. Da war ein Strich aufgemalt, im Halbkreis um den Thron. »Das ist die Grenze! Näher darf niemand heran.«
»Auch gut«, sagte Quong Ho verärgert. Er blieb, wo er war, und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hattest mir Macht und Reichtum versprochen, lieber Vetter!«
»Hast du doch auch bekommen.« Ki Ling schnippte mit den Fingern. Ein Bediensteter brachte einen Becher Liitsa-Wein, nahm einen Schluck und reichte das Gefäß dem Kaiser.
Quong Ho lachte freudlos. »Grasland im Westen, und jede Menge davon! Es ist nutzlos! Ich kann darauf nur Pferde züchten, und die kauft hier niemand.«
»Verstehe! Du möchtest eine andere Beschäftigung. Da hab ich was für dich, pass auf!« Ki Ling griff nach den Schleifen seiner Gewänder. Quong Hos Augen wurden groß.
Ein Hauch von Panik erfasste ihn, als sich der liebe Vetter aus der Kleidung pellte.
»Was… was hast du vor?«, fragte er und wich unwillkürlich zurück.
»Nur Geduld!« Splitternackt ging Ki Ling zu einer Truhe, bückte sich und wühlte darin herum. Quong Ho traten Schweißperlen auf die Stirn. Sein Blick flog zu den Wachen, dann zu den Fenstern, dann zur Tür. Sie war geschlossen, und auch dort stand einer der Vermummten. Quong Ho fühlte sich elend ausgeliefert.
»Wo hab ich denn nur… ah! Da ist es ja!« Ki Ling zog ein Stück Stoff aus der Truhe. Es war weiß, etwa zwei Meter lang, und es glänzte wie ein frisch gestriegeltes Pferd. Seide war in Cinna unbekannt, deshalb beeindruckte der Stoff so ungemein. Ki Ling legte ihn zur Hälfte über die Schulter und strich die andere Hälfte glatt.
»Sieh genau hin!«, befahl er Quong Ho und ließ los.
Das Tuch floss herunter, mit dem leisesten Geräusch und so leicht, als wäre es aus Wasser. Ki Ling hob es auf und hielt es sich an den Körper. Es schmiegte sich an wie eine zweite Haut. Der Kaiser lächelte beglückt.
»Ist es nicht wundervoll?«, fragte er.
»Ja«, sagte Quong Ho lahm. Hat er den Verstand verloren?
Wen interessiert ein albernes Tuch?
»Es wird sanshi genannt.« Ki Ling legte das Tuch beinahe liebevoll auf den Thron und griff nach seiner Kleidung. »Der Händler hat meinen Zollbeamten gesagt, dass es aus Induu kommt.«
»Zollbeamte?«, fragte Quong Ho erstaunt.
Ki Ling zog sich das Hemd über den Kopf. »Die Marktleute müssen jetzt Zoll bezahlen, das ist neu und eine gute Einnahmequelle. Und nun höre: Ich möchte, dass du nach Induu reist und alles über sanshi herausfindest. Wie wird es hergestellt? Und von wem? Kann mein Volk das auch lernen, oder verschleppen wir die Leute hierher?… Warum lachst du so blöde, Quong Ho?«
»Induu!« Quong Ho gluckste
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