Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
165 - Am heiligen Berg

165 - Am heiligen Berg

Titel: 165 - Am heiligen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
gewinkt und der unglückliche Bauer ans Ufer eskortiert.
    Er kam von den Roten Hängen, einer Hügelkette am Rande der Ebene. Dort wurde chang-duu angepflanzt. Die Fruchtkapseln dieses Schlafmohns waren bis hinauf nach Induu begehrt und brachten gute Gewinne ein, trotzdem war der Bauer verarmt: zu viele Kinder, zu viele Schulden.
    Die meisten bei Quong Ho, dessen Familie die Roten Hänge gehörten.
    »Unsere Abmachung gilt?«, fragte der Mann mit zittriger Stimme. Er hatte den Felsen erreicht, einen hohen, sechs Meter breiten Findling. Erkaltete Lavareste klebten an den Rändern, hier und da von Stofffetzen durchsetzt. Sie flatterten im Wind.
    Quong Ho legte dem Bauern eine Hand auf die Schulter.
    »Unsere Abmachung gilt«, sagte er. »Ich werde mich um deine Familie kümmern! Und jetzt mach, dass du da rauf kommst.«
    Jubel brandete entlang des Ufers auf, als der Mann die flache Felsenkuppe betrat. Dann wurde es still, und man wartete gespannt auf die Herrscherprobe. Sie fand alle paar Jahre statt, denn Himmlische Hüter hatten dank ihrer Neider eine kurze Lebenserwartung. Dennoch wollte jeder Kaiser werden – und jeder durfte es versuchen. Die Regeln waren einfach: Wer es schaffte, auf dem Uferfelsen sein geplantes Regierungsprogramm auszurufen und danach zu den Schaulustigen zurückzukehren, wurde der neue Herrscher.
    Selbstverständlich hatte die Sache einen Haken.
    Der See war kein Gewässer im herkömmlichen Sinne. Er bestand aus gemütlich vor sich hin köchelnder Lava und beherbergte Tian Lung ( chin.: Himmelsdrache ), einen dreißig Meter langen, rotgelb gepanzerten Drachen.
    Dass diese Kreatur von den Daa'muren gezüchtet worden war, ahnte niemand. Man sah in ihm einen Boten der Götter.
    Das Wesen betrachtete den Uferfelsen als Futterplatz, und das zu Recht, denn dort wurde nicht nur die Herrscherprobe durchgeführt. Man legte auch die Toten dort ab, seine Feinde und unerwünschten weiblichen Nachwuchs. Tian Lung war im Laufe der Jahre ziemlich fett geworden.
    Der Bauer duckte sich wimmernd, als in der Mitte des Sees Hornzacken auftauchten. In langer Reihe kamen sie heran, schlängelnd und schnell. Der Mann wollte fliehen, doch da war Quong Ho am Fuße des Felsens, der nur wortlos auf sein Schwert tippte.
    Eine riesige Wölbung pflügte durch die brodelnde Lava.
    Mit angstverzerrtem Gesicht riss der Bauer sein Hemd herunter. Leinen kam zum Vorschein, feucht und in dicken Lagen um den Körper gewickelt. Die Zuschauer lachten und pfiffen.
    Quong Ho zerknirschte einen Fluch, als der Mann panisch begann, sich aus der Verpackung zu pellen. Lava kochte hoch. Der Bauer verhedderte sich, rutschte aus und fiel. Er zappelte wie ein umgekippter Käfer auf dem Felsen herum, von losen Stoffbahnen umgeben. Die Zuschauer klatschten rhythmisch.
    Beeil dich, verdammt!, betete Quong Ho. Er wurde erhört.
    Zischend barst die wogende Lava, und ein Monster erschien. Tian Lung wuchs in die Höhe; fließend, unaufhaltsam, immer weiter. Rot kochender Sprühregen flog davon, als der Drache den Kopf hob, um sein Futter anzupeilen. Der Bauer kreischte sich in den Irrsinn. Quong Ho hob unwillkürlich die Hände vors Gesicht. Als das Geschrei schlagartig abbrach, ließ er sie sinken und atmete auf.Der Felsen war leer.
    Ein Glück! Er hat den Stoff gefressen! Quong Ho wandte sich ab, um seinen Vetter zu suchen. Er fand Ki Ling bei den Königlichen Beobachtern, ohnmächtig und weiß wie ein Totentuch. Die Männer schafften es nicht, ihn zu wecken.
    Ein Heiler gesellte sich hinzu, und es wurde heftig darüber diskutiert, ob man es besser mit Ohrfeigen oder mit Wassergüssen versuchen sollte. Von den Ufern waberte das erregte Schwatzen der Schaulustigen her. Quong Ho nickte zufrieden. Man würde die Herrscherprobe erst fortsetzten, wenn sich alle wieder beruhigt hatten. Das gab dem Drachen genügend Zeit, seine Mahlzeit zu verdauen.
    Besonders die Tücher.
    Sie enthielten Unmengen des verarbeiteten Milchsaftes unreifer chang-du- Kapseln. Quong Ho hatte keine Ahnung, ob das bei einem Lavadrachen funktionieren würde. Er selbst nahm keine Drogen. Er verkaufte sie nur. Deshalb hatte er die Herrscherprobe seinem Vetter überlassen – und von allen Bewerbern hatte Ki Ling nun die besten Chancen.
    Man nannte die Begegnung mit dem Monster »den Himmelsdrachen hüten«. Davon leitete sich der Herrschertitel ab.
    Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Quong Ho den Vetter so weit hatte, dass er sich auf den Felsen begab. Ki Ling weinte vor Angst

Weitere Kostenlose Bücher