1655 - Die »Heiligen« von London
nicht bei mir.«
»Da haben Sie schon recht«, sagte ich. »Von Ihnen möchten wir nur Hintergrundinformationen haben, die uns eventuell weiterhelfen können und…«
»Nein, Mr. Sinclair, nein, ich kann Ihnen dabei nicht helfen. Das ist unmöglich.«
»Und warum nicht?«
»Weil wir getrennt sind. Und weil es mir scheißegal ist, was mein Mann getrieben hat. Er ist schon immer seinen eigenen Weg gegangen. Ich kam mir oft genug vor wie eine Person, die gar nicht vorhanden ist. Er hat mich einfach nur ignoriert. So liegen die Dinge. Dieser Kerl hatte keine Seele, und ich frage mich jetzt noch, warum ich ihn geheiratet habe.«
»Aber er hatte einen Bruder«, sagte Suko.
Plötzlich fing die Frau an zu lachen. »Ja, den hatte er. Der Typ heißt Paul. Er ist um keinen Deut besser als Derek.«
»War«, sagte Suko.
»Wieso?«
»Er lebt auch nicht mehr.«
Jetzt wurde Elly Sanders blass. Sie trat einen Schritt zurück und saugte die Luft scharf durch beide Nasenlöcher ein. Durch den Mund stieß sie sie wieder aus.
»Das habe ich nicht gewusst. Ist er -ist er - auch ermordet worden?«
Suko bestätigte das und fügte hinzu: »Es waren dieselben Mörder. Sie haben die Brüder gekillt.«
Wir hatten es geschafft, Elly Sanders sprachlos zu machen. Sie bückte sich und öffnete an ihrer Thekenseite eine Tür. Aus einem Fach holte sie eine Flasche Whisky und ein Glas hervor.
Wir ließen sie in Ruhe und schauten zu, wie sie sich einen doppelten Drink gönnte. Als das Glas leer war, verzog sie das Gesicht und flüsterte rau: »Das habe ich jetzt gebraucht. Da sind also beide Brüder tot. Na denn…«
Ich übernahm wieder das Wort. »Es hat sich angehört, als wären Sie darüber nicht besonders traurig, Mrs. Sanders.«
Sie stützte ihre Hände auf den Thekenrand. »Sie werden lachen, meine Herren, aber das bin ich auch nicht. Nein, ich bin nicht traurig, nicht über den einen und auch nicht über den anderen. Sie waren sich zu gleich. Mit denen konnte man nicht leben. Pauls Frau hat den Schritt nicht getan, den ich machte. Sie hat diese Hölle leider weiterhin ertragen, was ich nicht begreife.« Mit dem rechten Zeigefinger tippte sie auf das Thekenholz. »Ich begreife nur nicht, warum man sie beide umgebracht hat.«
»Nach dem Motiv suchen wir auch«, sagte Suko und fragte danach: »Kann es sein, dass die beiden Männer so etwas wie ein Doppelleben geführt haben oder es ein Geheimnis gab, das beide miteinander verband? Es läge doch im Bereich des Möglichen.«
Elly Sanders überlegte einen Moment. »Ein Geheimnis?«, murmelte sie. »Wenn es das gegeben hätte und ich davon wüsste, dann wäre es kein Geheimnis mehr - oder?«
»Da müssen wir zustimmen. Es könnte doch sein, dass die Brüder etwas hatten, das sie aneinander kettete. Und das nur sie etwas anging. Möglicherweise haben sie mal etwas angedeutet.«
Ab jetzt wurde die Frau sehr nachdenklich. Es war ihr anzusehen, dass sie nachdachte. Schließlich rückte sie mit einer Antwort heraus, und dabei wurde sie sogar rot.
»Es gab da mal ein Thema, über das keiner so recht gesprochen hat. Es ging auch mehr um Paul.«
»Und was war das?«, wollte ich wissen.
Elly räusperte sich, bevor sie sagte: »Man soll Toten ja nichts Schlechtes nachsagen und…«
»In diesem Fall wäre es schon besser.«
»Ja, Mr. Sinclair.« Sie holte noch mal Luft. »Wie gesagt, es ging um Paul. Er war zwar verheiratet, aber ich weiß, dass er einen Defekt gehabt hat.« Sie holte noch mal Atem und stieß die Antwort dann hervor. »Es ging um Kinder, um Jungen, er mochte sie. Aber nicht wie ein normaler Mensch Kinder mag, verstehen Sie?«
Und ob wir verstanden. Leise sagte ich: »Paul Sanders war ein Pädophiler. Stimmt's?«
Sie blockte ab. »Das weiß ich nicht.«
»Moment. Sie haben es angedeutet.«
»Schon. Nur habe ich es ihm nie beweisen können. Mein Ex war da wohl besser informiert. Durch Zufall habe ich bei Paul mal Bilder gefunden, die er aus dem Internet ausgedruckt hat. Und Sie können mir glauben, gefallen haben mir die Motive nicht. Ich selbst habe Paul nichts von der Entdeckung erzählt, aber ich sprach mit meinem damaligen Mann darüber, der sich schrecklich aufgeregt hat. Ich hatte sogar Angst, dass er mich schlagen würde. Er hat mir dann den Mund verboten und mir befohlen, dass ich alles vergessen sollte. Was ich natürlich nicht konnte.«
»Dann wird Ihr Schwager also über das Internet an die Bilder herangekommen sein.«
Suko runzelte fragend die
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