1661 - Der Torwächter
kümmerte sie sich um das Schloss. Es war von der anderen Seite angebracht und für sie natürlich nicht zu sehen. Das machte ihr nichts aus. Sie rüttelte ein paar Mal an der Tür und stellte fest, dass sie sich bewegte. Jetzt musste sie nur noch in Höhe des Schlosses nachgeben.
Hielt das Holz stand, oder barst es, wenn sie hart an der Tür rüttelte? Das war die Frage, und die Antwort würde sie nur durch einen Versuch erhalten. Noch besser wäre es für sie gewesen, wenn sie Werkzeug zur Hand gehabt hätte. Die Idee ließ Cora nicht los. Es war zwar etwas verrückt, aber sie wollte ihren Gedanken in die Tat umsetzen und fing damit an, ihr Verlies zu durchsuchen. Ein Feuerzeug oder Streichhölzer steckten nicht in ihrer Tasche. Cora musste sich schon auf das Licht verlassen, das spärlich durch das Fenster mit den Glasbausteinen fiel. Bisher hatte sie sich nicht darum gekümmert, welche Dinge auf dem Boden lagen. Sie sah nur den Schmutz. Dann kniete sie sich hin und schaute unter das Bett. Sie sah nichts, zudem war es zu dunkel, und so griff sie zu einer anderen Möglichkeit.
Das Bett war nicht besonders schwer. Sie konnte es zur Seite ziehen. Das hätte sie auch lassen können, denn unter ihm hatte nichts gelegen, was für sie zu gebrauchen gewesen wäre. Cora war so stark in ihre Arbeit vertieft, dass sich ein leichter Schweißfilm auf ihrer Stirn gebildet hatte. Leider entdeckte sie kein einziges Hilfsmittel, das ihr beim Aufbrechen der Tür hätte helfen können.
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Neben dem Tisch blieb sie stehen, schaute ihn an, berührte ihn und stellte fest, dass er wackelte. Da war nicht jedes Bein gleich lang. Bei dieser Tatsache schoss ihr eine Idee durch den Kopf. Tischbeine konnten auch als Hebel benutzt werden.
Danach ging alles schnell. Cora drehte den Tisch um. Dann lag er mit der Platte auf dem Boden und die vier Beine reckten sich ihr entgegen. Cora stellte sich auf die Tischplatte und umfasste mit beiden Händen ein Bein. Noch mal tief Atem holen, sich voll und ganz konzentrieren, dann startete sie den Versuch.
Sie zerrte am Holz. Dabei schrie sie auf, sie hörte auch das leise Knacken und sah einen ersten Erfolg. Leider brach das Tischbein nicht ab. Aber sie gab nicht auf und versuchte es anders. So gut wie möglich zerrte sie das Bein vor und zurück, und sie merkte auch, dass es anfing, sich aus dem Verbund zu lösen. Weitermachen! Immer weitermachen!
Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so angestrengt, und das Schicksal stand auf ihrer Seite.
Sie hörte plötzlich das Knirschen und auch das Knacken, schrie auf - und taumelte zurück, und da war es gut, dass sich nicht weit hinter ihr die Wand befand, die sie aufhielt. Sonst wäre sie gefallen und hart aufgeschlagen. Fast ungläubig starrte sie auf das, was ihre beiden Hände festhielten. Es war das Tischbein. Sekunden vergingen, bis ihr klar wurde, dass sie es geschafft hatte. Und plötzlich musste sie lachen. Eine wilde Erleichterung erfüllte sie, aber sie wusste auch, dass erst ein Teil ihres Planes gelungen war. Jetzt kam es darauf an, dass dieses Tischbein hart genug war, um damit die Tür aufzubrechen. Noch ein Vorteil lag auf ihrer Seite. Das Bein war nicht zu dick und kantig. Es würde - so sah sie es - in die Lücke passen und ein hoffentlich guter Hebel sein. Sie ging zur Tür. Dass ihre Knie dabei zitterten, sah sie als normal an. Sie stellte sich an die Tür und versuchte, das Tischbein in die Lücke zu stecken, was auch klappte.
Sie hatte es in Höhe des Schlosses getan. Jetzt musste nur noch die Hebelwirkung einsetzen, und sie hoffte, dass ihr Werkzeug nicht brach. Der erste Versuch.
Das Tischbein rutschte ab.
Cora startete erneut. Diesmal wusste sie es besser. Sie drückte, sie setzte Kraft ein, sie keuchte dabei, und sie hatte das Gefühl, als würde sich das Beinbiegen. Und dann brechen?
Nein, nein! Lieber Gott, lass es nicht brechen. Ich will doch hier raus und… Da hörte sie das Knacken - und das Schloss hielt nicht mehr. Es war einfach zu alt, ebenso wie die Tür.
Jetzt hatte sie freie Bahn.
So richtig war das noch nicht in ihrem Kopf angekommen. Cora taumelte zur Seite und lehnte sich gegen die Wand, um erst mal Ruhe zu finden. Zitternd stand sie da. Ohne dass sie es wollte, flössen Tränen aus ihren Augen und hinterließen Spuren auf ihren Wangen. Ihre Lippen zuckten, aus dem Mund drangen Laute der Erleichterung, und sie war auch froh, dass sie in ihrer Nähe keine fremden Laute
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