1661 - Der Torwächter
Lage, uns ein Bild von ihm zu machen, wie er aussehen könnte. Eine Beschreibung hatte uns bisher keiner gegeben. Möglicherweise wussten die Bewohner von Folly Gate selbst nicht Bescheid. Und ein Tor hatten wir hier auch nicht gesehen. Zumindest kein normales. Ein stilisiertes schon. Als mir dieser Gedanke kam, drehte ich mich um. Jetzt lagen die beiden Buchen, die wir schon passiert hatten, wieder vor mir. Diese Bäume konnte man mit ein wenig guten Willen als Torsäulen ansehen.
Das meinte auch Bill, der sich ebenfalls umgedreht hatte und sich die Bäume anschaute.
»Dann haben wir das Tor«, sagte ich. »Aber wo finden wir die Wächter oder den Wächter?«
»Keine Ahnung. Die Gräber sind es wohl nicht. Oder was ist deine Meinung?«
»Nein, nein, die bestimmt nicht.«
»Dann bin ich überfragt.«
Wir mussten davon ausgehen, dass dieser Torwächter keine Spinnerei war. So etwas erfand man einfach nicht; Bill nickte. »Wir suchen weiter, John!«
»Sehe ich auch so.«
Ich war mir sicher, dass sich dieser Wächter nicht weit entfernt aufhielt. Bill musste plötzlich lachen und fragte: »Hast du eine Vorstellung davon, wie er aussehen könnte?«
»Nein.«
»Auch keinen Verdacht, wer hier im Wald das Sagen haben könnte?«
»Auch nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Warum stellst du diese Fragen, Bill?«
»Mir fiel nur soeben ein Name ein.«
»Und welcher?«
»Mandragoro.«
Ich schwieg und holte erst mal tief Luft. Da hatte Bill wohl nicht so unrecht. Ich wunderte mich nur darüber, dass ich nicht an diesen Dämon gedacht hatte. Man konnte Mandragoro als einen Umwelt-Dämon bezeichnen. Schon einige Male hatten wir ihn in Aktion erlebt. Er griff oft ein, wenn die Umwelt durch Menschen brutal zerstört wurde. Aber er konnte nicht überall sein, denn die Sünden an der Umwelt nahmen trotz zahlreicher Warnungen immer mehr zu. Mandragoro konnte man auch nicht richtig beschreiben. Es war eine Gestalt aus Pflanzen, Ästen, Zweigen und Erde. Er und ich waren eigentlich keine Feinde, obwohl ich mit manchen seiner Aktivitäten nicht einverstanden sein konnte.
»Warum gibst du mir keine Antwort, John?«
»Weil ich nachdenke.«
»Okay. Über was?«
»Mandragoro«, murmelte ich. »Es ist irgendwie ein Problem, Bill. Ich denke nicht, dass er hier seine Fühler ausgestreckt hat und als Torwächter bekannt ist.«
»War auch nur eine Idee. Wir müssen ja nach allen Seiten hin offen sein.«
»Das stimmt.«
»Okay, dann sollten wir uns über eine andere Lösung Gedanken machen. Irgendwo muss dieser komische Torwächter doch stecken und…«
Bill hatte den Satz noch nicht beendet, als wir beide leicht zusammenzuckten. Etwas war geschehen.
Licht hatte Uns erwischt. Ein ungewöhnliches Licht, das aus dem Geäst der Bäume auf uns nieder fiel, als wäre dort eine Lampe eingeschaltet worden. Das war nicht der Fall, denn als wir in die Höhe schauten, da sahen wir dieses kalte und leicht grünliche Leuchten in der Lücke zwischen zwei Bäumen. Von zwei Seiten wuchsen Äste aufeinander zu, ohne sich zu berühren, denn zwischen ihnen gab es einen Gegenstand, der auf uns nieder glotzte. Wir hatten den Torwächter gefunden!
***
Der Wunsch, einfach wegzurennen, war stärk in Cora. Aber sie beherrschte sich. Auf keinen Fall wollte sie sich von ihren Emotionen leiten lassen. Sie musste methodisch vorgehen.
Während ihrer Gefangenschaft war eines klar geworden. In Folly Gate hatte sie keine Freunde mehr. Sie musste alle Bewohner zu ihren Feinden zählen. Dabei schloss sie sogar ihren Vater nicht aus; Wenn es einen Freund gab, dann hieß er Mike Rander. Doch ob der sich wieder im Ort befand, war mehr als fraglich.
Der dicke Pullover schützte sie vor der Kälte. Dennoch fröstelte sie. Es konnte auch an der Umgebung liegen, die eigentlich ihre Heimat war, ihr jetzt allerdings fremd vorkam. Das lag auch an der Ruhe. Alles, was hier lebte, schien den Atem angehalten und sich dabei versteckt zu haben. Sie hörte nichts von den Menschen und sie sah auch keine: Aber sie wusste mittlerweile, dass sie in einem Anbau gefangen gehalten worden war, der zu einem Haus gehörte, in dem der Mann lebte, der sie auch in diese Situation gebracht hatte.
Peter Blaine!
Zuerst tauchte sein Name nur in ihrem Köpf auf. Dann sprach sie ihn leise aus, und sie tat es mit einer knirschenden Stimme, in der viel Hass mitschwang. Die ganze Zeit über hatte sie sich vorgenommen, ihn zu stellen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekam. Jetzt war sie
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