1661
genau geht. Und dies da«, er zeigte auf den dritten Stapel, »sind Finanzunterlagen, die so geschrieben sind, dass sie von einem Laien, der sie zufällig in die Hände bekommt, nicht entziffert werden können. Es handelt sich um eine Art geheime Buchführung, und sie gibt Auskunft über diverse Transaktionen, die Seine Eminenz getätigt hat, um sich zu bereichern. Darunter befindet sich zum Beispiel ein geheimer Geldtransfer, der dazu diente, verschiedene Zollrechte der Städte Montereau und Moret von Strohmännern im Dienste des Kardinals aufkaufen zu lassen.«
»Jetzt verstehe ich den Groll Colberts und seiner Spitzel!«, rief Gabriel aus.
»Die Leute, welche die Mappe in deinem Theater verloren oder versteckt haben, müssen genau gewusst haben, wonach sie suchten«, erklärte André. »Doch kommen wir auf die mit dem italienischen Code verschlüsselten Papiere zurück«, fuhr er fort und wandte sich dem zweiten Stapel zu. »Warte einen Augenblick, bis ich die Urkunden übersetzt habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach enthalten sie ein wichtiges Staatsgeheimnis.«
Während sein Vater merkwürdige, mit Ziffern versehene Schablonen aus seinen Schubladen holte und sie über die betreffenden Schriftstücke legte, wurde Gabriel langsam bewusst, dass er überhaupt keine Ahnung gehabt hatte, was sich in der Ledermappe verborgen hatte. Das erklärt einleuchtend, warum alle Welt hinter mir her zu sein scheint, dachte der junge Mann, der immer ungeduldiger wurde, die Wahrheit zu erfahren.
»Gabriel de Pontbriand, Ihr habt auf einem Pulverfass gesessen!«, rief der alte Mann nach einigen langen Minuten des Schweigens.
Er erhob sich und ging um den Tisch herum, um das Dokument nun Gabriel zu zeigen, der ungeduldig auf seinem Stuhl hin- und hergerutscht war, als er die verblüfften Ausrufe seines Vater hörte, die immer lauter wurden, je mehr er las.
»Hier haben wir den offiziellen Ehevertrag zwischen Anna von Österreich und Seiner Eminenz, Kardinal Mazarin! Kannst du dir das vorstellen, mein Sohn? Wenn die Frondeure oder ihre Anhänger in den Besitz dieser Urkunden gelangt wären … ich glaube, im Königreich Frankreich hätte es einen Donnerschlag mit unabsehbaren Folgen gegeben. Umso mehr,als der Code ein Kinderspiel ist für jeden, der sich in der Kunst der Verschlüsselung auskennt!«
Gabriel konnte es nicht fassen. Natürlich war das Gerücht in ganz Paris im Umlauf, doch niemand hätte gedacht, dass der Beweis der Heirat zwischen der Mutter des Königs und dem Ersten Minister so leicht zu erbringen war.
»Das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem Brief, der dem Vertrag beigefügt ist.«
Gabriel fuhr hoch.
»Wie? Was steht darin? Und wer hat ihn geschrieben?«
»Anna von Österreich, mein Sohn, an den Kardinal Mazarin. Und sein Inhalt ist schier unglaublich: Dieser Brief, Gabriel, geschrieben 1638, also vor dreiundzwanzig Jahren, ist der einer jungen Mutter, die nach der Geburt ihres Sohnes an dessen Vater schreibt …«
»Mazarin?! Der Vater des Königs??«
In seinem Kopf drehte sich alles.
»Mein Sohn«, sagte André, »du bist gut genug mit den Angelegenheiten des Königreichs vertraut, um zu ermessen, von welcher Bedeutung diese Papiere sind. Sie könnten einen Bürgerkrieg auslösen …«
»Und was sollen wir jetzt tun?«
»Hier ist allergrößte Vorsicht geboten. Ich kann mir vorstellen, dass Colbert fieberhaft nach den Unterlagen sucht. Dein Leben und das meine hätten wenig Gewicht, wenn sie mit den Papieren aufgewogen würden«, erklärte er mit düsterer Stimme. »Du bleibst noch einige Tage in London, hast du mir gesagt. Ich werde erst einmal darangehen, meine Brüder über das Schicksal des Dokuments unserer Bruderschaft zu informieren. Von der Seite her sehe ich keinen Grund zur Beunruhigung, denn wie ich dir gesagt habe, sind unsere Codes nicht entschlüsselt worden, das kann nur ich, niemand sonst. Ich werde dir eines Tages erklären, weshalb ich mir dessen sosicher bin«, fügte André hinzu und beantwortete damit die Fragen, die er im Blick seines Sohnes las. »Was Mazarins geheime Buchhaltung und die Beweise seiner Heirat anbelangt, so nimm diese Papiere wieder an dich. Ich glaube nämlich, dass das Palais, in welchem der König von England euch untergebracht hat, das am besten bewachte im ganzen Königreich ist. Wir werden vor deiner Abreise darüber entscheiden, wie wir weiter verfahren.«
Gabriel fühlte sich angesichts der nüchternen Entschlusskraft seines Vaters
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