1661
mich«, hieß es in dem Schreiben weiter. Keine Minute länger darf ich in London bleiben! Ich muss mich unverzüglich an die Verfolgung der Mörder meines Vaters machen! Ich werde Fouquet eine Nachricht hinterlassen, in der ich ihn über meine Rückkehr nach Frankreich in Kenntnis setze, überlegte der junge Mann, als er aus dem Haus seines Vaters trat, und dann sehe ich zu, dass ich nach Beauvais komme! Schmerz und Kummer waren einem kalten Zorn gewichen.
Auf dem Weg nach Paris
Sonntag, 24. April
Gabriel hatte sein Pferd nicht geschont. Von London aus war der junge Mann auf dem schnellsten Weg zur Küste geritten und hatte in letzter Minute das Schiff nach Frankreich erreicht. In Boulogne war der Erbe der Pontbriands, kaum dass er von Bord gegangen war, zur ersten Postkutschenstation geeilt, um sich ein neues Pferd zu beschaffen. Er hatte sich ein kräftiges Tier ausgesucht und war unverzüglich nach Beauvais aufgebrochen.
Unterwegs waren Gabriel die Ereignisse der vergangenen Stunden unablässig durch den Kopf gegangen. Das Bild vom Leichnam seines Vaters stand ihm vor Augen, ohne dass er die Erinnerung daran abschütteln konnte. Er war nur noch von einem Gedanken besessen: den Mord zu rächen, indem er erst einmal die Flüchtigen einholte und Genugtuung forderte, sich dann aber den Auftraggeber des Verbrechens vornahm.
Colbert wird für die Bluttat bezahlen, koste es, was es wolle!, sagte sich der junge Mann wieder und wieder, trunken vor Schmerz.
Als Gabriel endlich in Beauvais ankam, ritt er zunächst einmal um die gewaltige, mehr als vier Jahrhunderte alte Kathedrale, bevor er auf die Postkutschenstation zusteuerte, die nur wenigeSchritte davon entfernt lag. Zu dieser Stunde war dort wenig los.
»Monsieur, womit kann ich dienen?«
Scipion Carion, der Postmeister, begrüßte ihn mit einer tiefen Verbeugung. Der Mann war klein und rundlich, aber sein gutmütiges Gesicht flößte Vertrauen ein.
»Ich soll meine Freunde hier treffen«, sagte der junge Mann, um keinerlei Verdacht zu erregen. »Sie warten vielleicht schon auf mich. Und außerdem habe ich Hunger und Durst.«
Scipion Carion fasste seinen Gast am Arm und führte ihn in die Schenke, damit der Reisende seinen Hunger stillen könnte. Während Gabriel neben ihm herging, schaute er sich diskret unter den anderen Gästen um.
»Ihr findet bei mir die beste Köchin von ganz Beauvais. Hier steht Madame Carion selbst am Herd«, verkündete der Mann stolz und wies Gabriel einen Tisch in der Nähe des Fensters zu.
Verstohlen musterte dieser weiter die übrigen Gäste, bis er urplötzlich aufsprang und die Hand an seinen Degen legte.
»Ihr da!«, rief er und stürmte auf drei Männer los, die ganz hinten in der Gaststube saßen.
Die Kumpane, die von diesem ungeahnten Wiedersehen völlig überrascht wurden, griffen ihrerseits zum Degen und warfen sich auf den jungen Mann. Der Kampf begann, während der Gastwirt Zeter und Mordio schrie.
»Gnade,
messieurs
, schont meine Familie! Ich besitze nur diese Herberge und muss die Meinen ernähren! Ich beschwöre Euch, zerbrecht bitte nichts!«, flehte der arme Scipion Carion, während unter dem Klirren der Degen Geschirr durch die Luft segelte.
Wieder brachte der junge Pontbriand, schnell wie der Blitz, die Angreifer in Nöte. Sie waren über das erneute Zusammentreffen mit ihm nicht weniger überrascht als über seinenMut. Doch trotz aller Gewandtheit merkte Gabriel bald, dass er in Schwierigkeiten steckte. Eine leichte Verwundung an der Schulter zwang ihn, den Kampf abzubrechen. Er machte einen Satz durch das offene Fenster und landete im Hof der Postkutschenstation. Sofort stürmten die drei Männer aus der Herberge ins Freie.
»Achtung, er ist gefährlich!«, schrie einer von ihnen und machte sich an die Verfolgung des Flüchtenden.
Sie stellten Gabriel vor der Kathedrale, und auf den Eingangsstufen des großen Bauwerks setzten sie den Kampf fort. Der junge Mann kämpfte bald mit dem Rücken zur schweren hölzernen Tür und glaubte sich schon verloren. Als er aber an seinen Vater dachte, den er nie mehr wiedersehen würde, verdoppelte sich seine Wut, und er durchbohrte mit seinem Degen einen der Angreifer, der blutüberströmt die Stufen zum Kirchenvorplatz hinabrollte. Glücklicherweise ist der Ort verlassen, dachte Gabriel und setzte alles daran, sich schleunigst aus seiner misslichen Lage zu befreien. Er tötete den zweiten Angreifer, indem er ihm die Klinge seines Degens genau ins Auge
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