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stieß. Die Wut verlieh ihm gewaltige Kraft, als er den dritten Gegner ins Herz traf und dieser auf der Stelle zusammenbrach.
Es ist geschafft!, dachte der Erbe der Pontbriands und wischte den blutigen Degen an der Kleidung seines letzten Opfers ab. Nun gibt es keine Zeit zu verlieren, ich muss verschwinden, bevor man die Schurken hier findet.
Als er davoneilte und sich nach einer Möglichkeit umsah, rasch und unbemerkt nach Paris zu kommen, fühlte Gabriel, wie ihn eine Art Trunkenheit überkam. Das war nur der erste Schritt, dachte er und tastete mit der Hand die leichte Verwundung an der Schulter ab. Nun zu uns beiden, Colbert!
Paris, Dachkammer von Julie
Mittwoch, 27. April, acht Uhr morgens
Als er vor drei Tagen in Paris eingetroffen war, hatte sich Gabriel zu seiner Freundin Julie geflüchtet. Die Schauspielerin lebte allein in einer bescheidenen Dachkammer, nicht weit vom Palais-Royal entfernt. Sie hatte den Flüchtling mit Verwunderung und Rührung empfangen und war überaus glücklich, ihren Freund wiederzusehen, der so plötzlich aus Molières Truppe verschwunden war. Gabriel hatte nichts von seinen Abenteuern erzählt und schlief zuerst einmal ohne Unterbrechung fast vierundzwanzig Stunden lang. Als er erwachte, war die Wut, die ihn seit der Ermordung seines Vaters erfüllte, nicht geringer geworden. Mehr als je zuvor war er entschlossen, Colbert auszuschalten. Um Julie nicht zu beunruhigen, hatte er sich eine Geschichte für sie ausgedacht, mit ihm als Helden, die angeblich zur Folge hatte, dass er sich für ein paar Tage in Paris verstecken musste. Sie hatte es geglaubt – oder zumindest so getan, als glaubte sie ihm. Sie hatte ihn nicht gefragt, wie lange er bei ihr wohnen wollte, sie hatte überhaupt keine Fragen gestellt. Und am zweiten Abend, als sie vom Theater zurückkehrte, wo sie noch immer ›Don Garcia‹ gaben, hatte sie ihn in ihr Bett eingeladen. Die hübsche Schauspielerin unterdrückte nicht länger ihre Gefühle, die ihrem Freund nicht verborgen geblieben waren. Auch er war ihren Reizen gegenüber nicht unempfänglich und gab sich denFreuden eines köstlichen Genusses hin, selbst wenn dies seinen Kummer nicht linderte.
Jeden Tag, wenn Julie zum Theater ging, schlich Gabriel um das Palais-Royal oder Colberts Wohnsitz herum, auf der Suche nach der besten Möglichkeit, den zu töten, den er seit der Ermordung seines Vaters für seinen persönlichen Feind hielt. Wenn das Tor einen Spalt geöffnet wurde, weil eine Kutsche mit geschlossenen Vorhängen passierte – die von Colbert vielleicht? –, fühlte Gabriel, wie sein Blut in Wallung geriet. Geduldig harrte er auch bei Regen an seinen Beobachtungsposten aus. Er verbarg sich im Schatten einer Toreinfahrt und notierte die Zeiten, zu denen die Dienstboten kamen und gingen, die Gewohnheiten der Wachen und alle sonstigen Details, die ihm für die Befriedigung seiner Rachegelüste nützlich erschienen.
An jenem sonnigen Morgen lag er noch im Bett, in zärtlicher Umarmung mit Julie, als es an der Zimmertür klopfte.
»Macht auf, Gabriel! Ich weiß, dass Ihr da seid!«
Es wurde abermals an die Tür gehämmert. Der junge Mann sprang aus dem Bett und griff zu seinem Degen.
»Öffne nicht«, flehte Julie ihn an. Erschrocken zog sie das Laken bis unters Kinn, um ihre Brüste zu bedecken.
»Macht bitte auf!«, wiederholte die Stimme. »Ich bin es, François d’Orbay.«
Erleichtert schob Gabriel den Türriegel zurück. Der Architekt lächelte, wie er den jungen Mann splitternackt vor sich stehen sah, den Degen in der Hand.
»Kleidet Euch an«, forderte d’Orbay ihn auf, ohne der jungen Frau, die nun unter dem Bettlaken verschwunden war, große Beachtung zu schenken. »Kommt herunter zu mir in die Kutsche. Ich muss mit Euch sprechen!«
Ohne ein weiteres Wort stieg d’Orbay die Treppen hinab. Gabriel fuhr in seine Kleider, die hier und da im Raum verstreut lagen.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er zu Julie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Das ist ein Freund von Nicolas Fouquet. Ich komme so schnell wie möglich zurück.«
»Geh schon«, sagte die junge Frau mit einem etwas traurigen Lächeln. Und etwas leiser: »Adieu, mein Geheimniskrämer.«
Auf der Straße stand eine schwere Kutsche mit sechs Pferden. Die geschlossenen Vorhänge verhinderten einen Blick ins Innere. Während er auf Gabriel wartete, blätterte der Architekt in einer Zeitung.
»Ich bin über alle Maßen froh, Euch wiederzusehen, Monsieur de
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