1661
befreien mich aber nicht von der Pflicht, ihn zu rächen. Ihr wisst, was passiert ist, gut. Dann solltet Ihr auch wissen, dass ich bei dem Mann, den ich in London getötet habe, eine Nachricht gefunden habe, die beweist, dass Colbert in die Sache verwickelt ist. Er hat die Mörder beauftragt.« Er schrie nun fast. »Und dafür werde ich ihn töten. Ich werde meinen Vater rächen!«
D’Orbays Stimme wurde eisig.
»Und auch wir werden ihn rächen, glaubt mir. Aber nicht jetzt. Und nicht so. Haltet Ihr Colbert für so naiv, dass er nicht auf der Hut ist? Er lässt Euch überwachen, Ihr verschwindet vom Erdboden, seine Männer werden getötet – und er tut so, als wäre nichts geschehen? Seine Wachen sind mit Sicherheit verstärkt worden, selbst wenn er, was wahrscheinlich ist, die Verbindung zwischen Euch und dem Tod seiner Männer noch nicht kennt. Wenn Bartet Euch gefunden hat, warum sollten das die anderen nicht auch?«
Gabriel schwieg, d’Orbays Argumente hatten ihn ins Wanken gebracht.
»Wenn Ihr Euch allein in die Höhle des Löwen begebt, dient das nicht Eurer Rache, und es gefährdet unseren Plan. Ich bitte Euch, fahrt nach Vaux und sprecht mit Fouquet. Colbert wird nicht ungeschoren davonkommen, das schwöre ich Euch.«
Gabriel nickte.
»Einverstanden, ich befolge Euren Rat und spreche mit Monsieur Fouquet, aber tut mir den Gefallen und erzählt mir endlich alles, was Ihr über meinen Vater wisst. Und klärt mich auf über das Geheimnis, das sein Leben umgab und für das er leider Gottes« – er holte tief Luft – »gestorben ist.«
D’Orbay atmete erleichtert auf und legte seine Hand wiederauf den Arm des jungen Mannes, der noch immer sehr blass aussah.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er und gab das Zeichen zur Abfahrt, »eine sehr lange Geschichte. Aber es ist an Nicolas Fouquet, sie Euch zu erzählen. Er allein hat das Recht dazu. Er wurde auserwählt«, fügte er geheimnisvoll hinzu.
Vaux-le-Vicomte
Samstag, 30. April, drei Uhr nachmittags
Gabriel sah zu, wie der flache weiße Kiesel über die Wasseroberfläche hüpfte, die wie ein Spiegel glänzte, und dann im Wasser versank. Die Nachmittagssonne strahlte auf die fast fertig angelegten Gärten und tauchte den hellen Stein der Schlossfassade in gleißendes Licht. Nachdem die Gerüste verschwunden waren, immer mehr Blumen und Sträucher die Beete bedeckten und der Erde Leben einhauchten, nahm das Schloss langsam Gestalt an, und nach mehreren Anstrichen bot die Architektur einen prachtvollen Anblick.
Nichts von alledem beschäftigte allerdings Gabriel. Das Einzige, was ihm im Kopf herumging, war die Distanz, die zwischen Vaux und Paris lag und ihn vom Mörder seines Vaters trennte. Zwei Tage waren vergangen, seit er sich darauf eingelassen hatte, d’Orbay zu folgen. Zwei Tage, in denen sein Rachedurst ständig gegen seine Überzeugung ankämpfte, dass er scheitern müsste, wenn er es allein gegen den Mann aufnähme, der es wagte, eine Schlange in seinem Wappen zu führen.
»Gabriel.«
Als er plötzlich eine sanfte Stimme hörte, wandte der junge Mann den Kopf. Er ließ die Steine fallen, die er in der Hand hielt, erhob sich mit einem Ruck und stand nun vor dem, der ihn gerufen hatte.
»Monsieur le surintendant?«
Fouquet hatte die Augen gesenkt, und der Schatten, den sein Hut warf, fiel auf sein Gesicht. Wortlos streifte er seine staubbedeckten Handschuhe ab und knöpfte seinen Reisemantel auf, den er über sein dunkelgrünes Wams gezogen hatte.
»Ich komme eben aus Paris«, sagte er. »Ich muss mit Euch sprechen, mein lieber Pontbriand.«
In diesem Moment wurde Gabriel von der Sonne geblendet, die nun auf die Schlossfenster schien. Er blinzelte mit den Augen und trat einen Schritt zurück, sah aber immer noch nicht besser. Im gleißenden Licht, das seine Augen flimmern ließ, hörte er wieder Fouquets Stimme.
»Es handelt sich um Euren Vater.«
Gabriels Miene verhärtete sich.
»François hat mir von eurer Unterhaltung berichtet«, fuhr Fouquet fort. Er trat näher. »Ich kann mir Eure Ungeduld, Eure rasende Wut, Euren Schmerz vorstellen. François teilt diese Gefühle mit Euch, so wie ein jeder von uns … Und wir werden Euren Vater rächen.« Fouquet packte Gabriel am Ellenbogen und zog ihn langsamen Schritts mit sich fort. »Ich bin ihm nur einmal begegnet, vor langer Zeit und nur ganz kurz. Für mich war er übrigens Charles Saint John und nicht André de Pontbriand … Und doch war die Begegnung lang genug,
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