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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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dass er mir von Euch und von dem sprach, was er als seinen ›anderen Traum‹ bezeichnete, um ihn von der Suche zu unterscheiden, die unsere Bruderschaft bestimmt. Sein Traum war es, Euch zu seinem Erben zu machen. Ich muss gestehen, ich habe nicht sofort begriffen, was er damit sagen wollte. Und er bemerkte es und wiederholte es noch einmal. Er wollte mir damit zu verstehen geben, dass Ihr sein Erbe in unserer Bruderschaft antreten sollt, und nicht nur sein Erbe als Sohn eines Pontbriand.«
    Fouquet hielt inne und sah Gabriel an.
    »Dieses Erbe ist von ganz besonderer Art, Monsieur de Pontbriand.«
    Tränen schimmerten in den Augen des jungen Mannes, der weiterhin die Lippen zusammenpresste.
    »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Gabriel. Wir brauchen Euch. Die Papiere, die Ihr wundersamerweise im Theater gefunden und an dem Abend gerettet habt, an dem Euer Vater ermordet wurde, sind von außerordentlicher Bedeutung. Sie haben das Leben Eures Vaters und auch das Eure verändert. Ihr habt heute die Chance, den Fluch zu brechen. Indem Ihr mir die Papiere gebt, erfüllt Ihr den sehnlichsten Wunsch Eures Vaters   … Und Ihr nehmt seine Stelle ein.«
    »Aber was sind das für Geheimnisse, die meine Familie zerstört haben?«, unterbrach Gabriel ihn mit schneidender Stimme.
    »Ich werde es Euch sagen, Ihr habt in vielerlei Hinsicht das Recht dazu erworben. Doch ich will, dass es allein Eure Entscheidung ist, Gabriel. Die Geschichte des Geheimnisses erzählt sich nicht einfach so: Sie hören heißt sie akzeptieren, und akzeptieren heißt ihr dienen. Wenn ich sie Euch erzählt habe, gibt es kein Zurück mehr.«
    Der Oberintendant schwieg einen Augenblick und trat einen Schritt zurück.
    »Ruht Euch aus. Und denkt nach. Die Zeit ist auf unserer Seite, dieses eine Mal. Ich gehe nun und kontrolliere den Fortschritt der Arbeiten. Danach speisen wir mit La Fontaine. Offenbart bitte nichts, ich beschwöre Euch. La Fontaine ist ein treuer Freund, aber er ist keiner von uns und darf nicht erfahren, was auf dem Spiel steht. Wenn Ihr möchtet, kommt einfach nicht zum Essen herunter, ich werde Euch entschuldigen. Ich erwarte Euch heute Nacht um elf in meinem Arbeitszimmer. Wenn Ihr Euch dort einfindet, so gehe ich davon aus,dass Ihr Euer Erbe annehmt wie auch die Last seiner Geheimnisse.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ der Oberintendant der Finanzen Gabriel stehen und ging zurück zum Schloss.
     
    Die Nacht hatte sich über Vaux-le-Vicomte gesenkt. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, stand Fouquet vor der Glastür, die von seinem Arbeitszimmer auf die Terrasse führte, und sah hinauf zu dem tiefschwarzen Himmel, an dem die Sterne leuchteten. In der Stille vernahm er das Geräusch leiser Schritte auf dem Parkett des angrenzenden Salons, und er lächelte. Die Tür knarrte leise, als sie sich öffnete. Fouquet drehte sich um und sah Gabriel in der Türöffnung stehen. Zwei brennende Fackeln warfen ihren Lichtschein auf ihn und ließen seine Züge noch bleicher erscheinen. Mit einem schlichten weißen Hemd bekleidet, kam er mit bedächtigen Schritten näher. In der Mitte des Raums blieb er abrupt stehen.
    »Ich höre.«
    »Die Nacht ist mild«, antwortete Fouquet und zeigte auf die Tür. »Wollen wir ein wenig hinausgehen?«
     
    Die Lichter des Schlosses schimmerten noch von weitem. Während sie eine mit jungen Pappeln bestandene Allee entlanggingen, spürten die beiden Männer, wie eine laue Brise, die die Blätter rascheln ließ und bereits den Sommer ankündigte, ihre Gesichter umspielte.
    »Es ist eine sehr lange Geschichte, Gabriel. Sie hat vor mehr als 1600   Jahren begonnen, im Heiligen Land, am Ufer des Sees Genezareth, im Hause eines Fischers, der einem Propheten namens Jesus nachfolgte. Dieser Mann hieß Simon Petrus und sein Heimatdorf Kapernaum. Die Geschichte nahm ihren Anfang, als er noch einmal die schriftlichen Zeugnisse der anderen Apostel des Herrn las. Es waren vier an der Zahl. Vier Schriften, welche die Welt unter dem Namen Evangelien kennenlernen sollte. Vier Schriften, aus denen unsere Geschichte sich gar nicht hätte ergeben können, wenn Simon Petrus am Ende seiner Lektüre nicht empört und zugleich furchtbar erschrocken gewesen wäre. Da traf er eine schreckliche Entscheidung. Die Entscheidung, einen Teil der Texte neu zu schreiben, sie zu verändern. Eigentlich etwas sehr Banales: ein Akt der Zensur. Nur dass es in diesem Fall den Lauf des Lebens der Völker und der Welt

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