1661
überzeugt, dass die Bruderschaft erneut in das Schweigen der Anonymität eintauchen würde. Für zehn, fünfzig, hundert Jahre?, fragte er sich. Der Schraubstock, der seinen Brustkorb umspannte, wurde enger. Er schwankte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Mit einer Geste bedeutete er dem Redner fortzufahren und richtete sich wieder auf.
Hundert Jahre. Vielleicht tausend Jahre.
Del Sarto wiederholte seine Frage. Jetzt, da sie allein waren, stand ihm die Besorgnis ins Gesicht geschrieben. Auch er hatted’Orbay beobachtet und die Kluft ermessen, die sich im Herzen des Architekten aufgetan hatte.
»Ich frage Euch, wann Ihr zurückreist, François?«
D’Orbay zuckte mit den Achseln.
»Sobald wie möglich. Ich muss schnellstens mit Gabriel sprechen.«
Ihm die Fackel übergeben, dachte er.
»Das ist gut«, antwortete der andere. »Gebe der Himmel, dass der junge Pontbriand dem Vorbild seines Vaters nacheifert und die ihm anvertraute Aufgabe erfüllt. Und Eure Familie?«, fragte er mit sanfterer Stimme.
Der Architekt antwortete nicht. Das Bild seiner Kinder und seiner Frau ging ihm durch den Kopf. Wo befanden sie sich zu dieser Stunde? Sie schliefen vermutlich, in seinem Palais mit den bereits abgedeckten Möbeln und den gepackten Koffern. Fliehen, immer wieder fliehen, ohne zu begreifen, ohne zu fragen. Ohne Grund.
»Was sagt Ihr?«, fragte Giacomo erstaunt.
D’Orbay schüttelte den Kopf.
»Nichts.«
Dann sah er den Arzt an.
»Adieu, mein Freund«, sagte er mit weicher Stimme.
Als er ihn in seine Arme schloss, fühlte Giacomo, wie ein eiskalter Schauer ihm den Rücken hinunterlief. Gebe der Himmel, dass ich ihn falsch verstanden habe, dachte er in einem stummen Gebet.
Vaux-le-Vicomte
Sonntag, 28. August, zehn Uhr morgens
Hugues de Lionne saß bereits in der stattlichen Karosse, die seit einigen Minuten am Fuß der Stufen zum Schloss von Vaux wartete. Die Abfahrt stand unmittelbar bevor. Sie warteten nur noch auf den Oberintendanten der Finanzen. Die beiden Männer reisten nach Nantes, um dort zum König zu stoßen, der sich kürzlich zu einem ausgedehnten Aufenthalt in der Bretagne entschlossen hatte. Endlich erschien Nicolas Fouquet. Er war ausgesprochen elegant in schwarze Seide gekleidet, hatte trotz des sommerlichen Wetters einen leichten Mantel übergezogen und trug einen weichen Filzhut von kastanienbrauner Farbe. Er schloss seine Frau in die Arme.
»Habt ein Auge auf die Weinlese in Thomery, meine Liebe. Ich bedaure diese recht unvermittelte Reise, doch der König hat darauf bestanden. Ich liebe Euch von ganzem Herzen«, fügte der Minister hinzu und küsste zärtlich die Frau, die ihm vor kurzem ein weiteres Kind geschenkt hatte.
»Passt auf Euch auf, mein Freund! Seid vorsichtig, und denkt ein wenig an Eure Kinder«, antwortete sie nur.
Dann nahm Fouquet von La Fontaine Abschied, der mit hinausgekommen war, um Adieu zu sagen.
»Mein teurer Jean, es wäre mir lieb, wenn Ihr Euch während meiner Abwesenheit um eine delikate Angelegenheit kümmern würdet. Wie Ihr wisst, hat mir der Verkauf meines Amteseine Million Livre eingebracht, die ich sofort dem König überschrieben habe. Allerdings schuldet mir Harlay, mit dem ich verhandelt habe, noch vierhunderttausend Livre und ist mit der Bezahlung in Verzug. Ich habe auch noch beachtliche Summen bei guten Freunden sicher untergebracht, doch all das ist wenig für den Fall, dass …«
»Für den Fall, dass?«, fragte La Fontaine beunruhigt und runzelte die Augenbrauen. »Habt Ihr Kenntnis von etwas, das Ihr mir verheimlicht?«
»Keineswegs! Die einen sagen, dass ich zum Ersten Minister ernannt werde, die anderen, dass ich Opfer einer schrecklichen Intrige werde. Jedenfalls habe ich seit ein paar Tagen das Gefühl, dass der König freundlicher zu mir ist. Ich glaube, dass ich sein Vertrauen wiedererlangt habe!«
»Seid Ihr da so sicher?«
»Ihr seid zu pessimistisch, mein lieber Jean. Habt Ihr mir nicht noch vor kurzem vorhergesagt, ich würde in der Bastille landen? Wie Ihr seht, ist das nicht eingetroffen. Im Gegenteil, der König ruft mich zu sich nach Nantes. Quält Euch nicht länger, und konzentriert Euch darauf, das einzutreiben, was man mir schuldet!«, meinte Nicolas Fouquet und wandte sich an die, die neben seiner Kutsche noch auf ihn warteten.
»D’Orbay!«, rief der Oberintendant der Finanzen, als er seinen Architekten vom Pferd springen sah. »Ihr kommt an, wenn ich fortfahre!«
»Ich habe mich so sehr beeilt,
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