1661
Schlosses. Bei diesem Anblick stand ihm wieder der Prunk von Vaux vor Augen.
Wäre die Königin nicht eingenickt, hätte sie gehört, wie der König von Frankreich murmelte: »Er hat mir meinen Traum gestohlen, das wird er mir bezahlen.«
Rom
Mittwoch, 24. August, elf Uhr abends
Als François d’Orbay in Rom eintraf, ging gerade ein sintflutartiger Gewitterregen nieder. Damit sein Pferd auf dem holperigen Pflaster nicht ausrutschte oder ihn abwarf, wenn es sich bei den blendenden Blitzen aufbäumte, musste der Architekt anhalten. Unter den Arkaden des Kolosseums hatte er Schutz gefunden. Er lehnte sich gegen die Flanke seines Pferdes und wartete ab. Neben ihm klatschten die Tropfen mit Wucht auf die Steine und den Boden und flossen in Bächen die Straße hinab, die an den Resten des antiken Forums entlangführte und sich in extrem schlechtem Zustand befand. Ein greller Blitz zuckte über den Himmel und erhellte für einen Augenblick die Umrisse der antiken Gebäude, die der Regenschleier verbarg. D’Orbay zitterte, ohne zu wissen, ob Kälte oder Müdigkeit daran schuld waren. Seit er Paris vor sechs Tagen verlassen hatte, hatte er sich nur wenige Pausen gegönnt und eine Postkutschenstation nach der anderen im Parforceritt hinter sich gelassen, um Rom so schnell wie möglich zu erreichen.
Mit der Hand tätschelte er den Hals des Pferdes, das wieder unruhig wurde. Es warf einige Male den Kopf hin und her, schien sich dann aber zu beruhigen.
D’Orbay sah Fouquets starres Gesicht vor sich. Er hatte noch immer seine entschlossene Stimme im Ohr, die Worte, die gefallen waren, als er sich verabschiedet hatte.
»Mein Schicksal wird sich erfüllen, wie es ihm bestimmt ist. Wir müssen unseren Weg zu Ende gehen. Wir müssen unser Vertrauen in die Loyalität des Königs seinem Volk gegenüber setzen und in die Kraft des Geheimnisses. Was mich betrifft, so werde ich nicht der Anstifter eines Bürgerkriegs sein.«
Alles war gesagt. Er hatte den Bruchteil einer Sekunde gezögert, nicht länger. In dem Blick, den er mit dem Oberintendanten gewechselt hatte, hatte d’Orbay den irreparablen Riss gesehen, der sie auf die eine und die andere Seite eines immer breiter werdenden Grabens warf. Nachdem sie lange Zeit in dem Traum vereint gewesen waren, den er ersonnen hatte, gingen ihre Lebenswege nun auseinander und würden sich nie wieder kreuzen.
»Komm«, sagte d’Orbay mit sanfter Stimme zu seinem Pferd, »der Regen scheint nachzulassen, mein Freund, auf geht’s, wir sind noch nicht am Ziel.«
François d’Orbay stand vor seinen Brüdern und schwieg. Nachdem er seinen Bericht beendet hatte, fühlte er eigenartigerweise, wie ihn Erleichterung überkam. Als hätte er die auf seinen Schultern angehäufte Last wieder geteilt und müsste sie nicht mehr allein tragen. Mit jedem Satz spürte er aber auch umso deutlicher, wie verzweifelt sein Vorstoß war und dass er zu nichts führen würde.
Giacomo Del Sarto sah den Architekten mit undurchdringlicher Miene an.
»Das Risiko ist groß, und es war richtig von Euch, nach Rom zu kommen und uns Bericht zu erstatten. Wir müssen Nicolas seinen Weg konsequent weitergehen lassen. Das ist seine Entscheidung. Beten wir zum Himmel, dass er die Situation richtig einschätzt, und bereiten wir uns zur Vorsicht auch auf einen Fehlschlag vor … das heißt auf die Notwendigkeit,Gewalt anzuwenden und zu retten, was zu retten ist, wenn wir den Kampf verlieren sollten …«
In den hellen Augen des Mediziners suchte d’Orbay nach der Spur einer Anklage, eines Vorwurfs, eines Bedauerns. Und sah nichts von alledem. Nur die ewige Flamme, die von Generationen von Männern, ähnlich denen, die vor ihm saßen, durch die Jahrhunderte weitergereicht worden war. Nur die frohe Gewissheit, dass nach einer möglichen Niederlage zum jetzigen Zeitpunkt später andere aufstehen, ihre Fackel übernehmen und im Schatten warten würden, bis die Stunde des Sieges anbrach.
Die Stunde, die ich nicht mehr erleben werde, dachte er plötzlich.
Del Sarto legte nun im Einzelnen dar, welche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen wären, von welchen Orten, Gewohnheiten, Identitäten sie sich trennen müssten, in welche fernen Gegenden der hastig in der Kuppel von Vaux-le-Vicomte versteckte Kodex gebracht werden müsste, wie sie ihre Spuren verwischen sollten, um ihren Verfolgern zu entgehen, und wie sie die Sieger von heute davon abhalten könnten, ihren Vorteil auszunutzen.
Einmal mehr war d’Orbay davon
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