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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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Eures Onkels, Gott hab ihn selig, hatte ich eine glückliche Kindheit, und seiner Protektion verdanke ich es, dass ich auserwählt wurde, Eurer künftigen Schwägerin als Gesellschaftsdame zu dienen. Sonst gibt es nichts zu berichten. Ich kann Eurer Majestät weder eine Ladung Kakao bringen lassen noch geistreiche Konversation bieten, die Euch unterhalten würde   …«
    Louise hielt irritiert inne. Der König hatte sich unvermittelt vom Tisch erhoben und dabei seine Serviette auf den Teller geworfen. Als sie sah, dass er noch immer lächelte, wurde sie wieder ruhig und erhob sich gleichfalls. Zu ihrem Erstaunen ging er um den Tisch herum und zog eigenhändig den Stuhl hinter ihr zurück. Sie deutete einen Knicks an, doch er nahm ihre Hand und zog sie ohne ein Wort in den Garten hinaus. Die Wolkendecke hatte sich aufgelöst, und die Sterne schimmerten in der schwarzen Nacht.
    »Ich liebe diese feuchte, milde Luft«, sagte der König von Frankreich. »Sie erinnert mich an meine Kindheit. Dieser Ort ist für mich eine Zuflucht und auch ein Traum, der Traum von etwas anderem.«
    Da Louise plötzlich zu frösteln schien, erkundigte er sich besorgt, ob ihr kalt sei. Sie schüttelte den Kopf, doch er schenkte dem keinerlei Beachtung und lief eilig zurück ins Haus. Louise blickte im verblüfft hinterher. Einen Augenblick später kehrte er mit einem Seidenschal zu ihr zurück.
    »Der wurde mir vom Botschafter Venedigs überreicht, nachdem er mir zahllose Belanglosigkeiten über die Heldentatenseiner Landsleute in China erzählt hatte«, erklärte der König halblaut, als er ihn Louise um die Schultern legte. »Denkt nur, dass das Gewebe, welches nun Euren Rücken wärmt, Tausende von Kilometern von China bis nach Versailles zurückgelegt hat.« Er trat etwas zurück, um die Wirkung der Seide zu überprüfen. »Nun ist mir auch kalt«, meinte er dann und hielt der jungen Frau seine Hände hin.
    Die Gestalt, die wenige Schritte entfernt im Schatten der Bäume hockte und das Geschehen beobachtet hatte, sah den König und die junge Frau Seite an Seite in den Pavillon zurückgehen. Sie verharrte dort noch einen Augenblick, bevor das Dunkel der Nacht sie verschluckte.

Wohnsitz von Jean-Baptiste Colbert
    Montag, 14.   März, elf Uhr morgens
    Colbert verschränkte die Arme, zögerte einen Augenblick und wiederholte dann seinen Befehl:
    »Mehr nach links, noch ein wenig mehr!«
    Gehorsam hoben die Arbeiter die schweren antiken Brunnenschalen an und versetzten sie Zoll um Zoll entlang der Wand des Vestibüls, bis sie gegenüber der steinernen Treppe standen, die zur ersten Etage hinaufführte.
    »Ja«, rief der neue Intendant der Finanzen aus, »so ist es besser.«
    Er ging näher heran und maß mit dem Fuß, ob der Abstand zwischen jeder Schale und den Cabochons aus schwarzem Marmor, welche die Bodenplatten aus weißem Marmor voneinander trennten, gleich war. Mit zufriedener Miene trat er zurück, um den Anblick zu genießen.
    »Gut«, sagte er und rieb sich die Hände. Dann eilte er, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Obergeschoss hinauf. »Jetzt die Kommode auf dem Treppenabsatz!«
    Resigniert stiefelten die Arbeiter hinter ihm her.
    »Vier Tage dauert das nun schon«, murmelte einer.
    »Und nie schläft er«, brummte ein anderer.
    »Los, los, Beeilung«, rief Colbert ungeduldig, während er eilig ein Schriftstück unterzeichnete, das ihm ein Sekretär aufder Treppe hinhielt. »Aha!«, unterbrach er sich und vertiefte sich in eines der Papiere aus dem Konvolut, das derselbe Sekretär ihm übergeben hatte, bevor er ebenso schnell verschwand, wie er gekommen war. »Es ist Zeit, die Besucher müssen da sein. Schade«, seufzte er bedauernd und warf einen Blick auf die Kommode, die umgestellt werden sollte. »Wir machen später weiter.«
    Als Colbert zurück zu seinem Arbeitszimmer ging, das im Erdgeschoss lag und auf den Garten hinausging, nahm er sich die Zeit und genoss noch einen Moment lang den Anblick der neuen Innenausstattung, »seiner« neuen Ausstattung, dachte er. Seit vier Tagen war er – vorbehaltlich der Bestätigung des Testaments durch das Pariser Parlement   – Eigentümer dieses kleinen Palais, das an jenes des verstorbenen Kardinals grenzte und in dem er großzügigerweise schon seit mehreren Jahren wohnte. Trotzdem betrachtete Colbert nun mit Inbrunst jeden Raum, jedes Möbelstück, als sähe er es zum ersten Mal. Es war, als wäre er voll neuer Energie, und so hatte er einige der wenigen

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