1661
Stunden, in denen er für gewöhnlich schlief, geopfert, um die Räume, denen er vorher kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte, vollkommen umzugestalten.
»Monsieur Lully ist da, Monsieur«, verkündete Toussaint Roze, der seinen Kopf durch die Tür des Vorzimmers gesteckt hatte. Der neue Intendant der Finanzen hatte sich unverzüglich die Dienste des ehemaligen Privatsekretärs von Mazarin zu eigen gemacht.
Colbert antwortete nicht, sondern gab ihm ein Zeichen, dass er bei seinen Überlegungen nicht gestört werden wollte. Der Besucher konnte warten. Das war eine Regel, die er in seiner neuen Rolle als Besitzer aufgestellt hatte.
»Wo war ich stehengeblieben?«, fragte er sich mit leiser Stimme und rieb sich die Augen. Seine vom Schlafentzug müden Lider schienen noch dicker zu sein als sonst.
Nachdem die erste Etappe geschafft war und Fouquet auf wundersame Weise seinen Traum vom Amt des Ersten Ministers hatte aufgeben müssen, ging es nun darum, den Erfolg sicherzustellen. Und zwar, indem er das Misstrauen des Königs gegenüber dem Oberintendanten der Finanzen, das die Warnungen des Kardinals vor seinem Tode gesät hatten, weiter vertiefte. Das ist auf dem besten Weg, überlegte Colbert. Dann Fouquet so weit wie möglich von seinen Netzwerken abschneiden.
»Das ist heute unsere Aufgabe«, murmelte er und warf einen erneuten Blick auf die vor ihm liegende Namensliste. »Wenn das in die Wege geleitet ist, muss ich ebenfalls daran denken, den hitzigen Charakter Seiner Majestät zu überwachen«, sagte er sich mit nachdenklicher Miene. »Und die merkwürdige Geschichte der gestohlenen Unterlagen, von denen mir die Königinmutter erzählt hat, muss aufgeklärt werden. Es gibt da etwas, das man mir verbirgt oder das nicht in geordneten Bahnen verläuft … Ich weiß nicht, welche Rolle der Oberintendant, dieser Komödiant, und diese Intrigantin dabei spielen, doch in dieser Sache werde ich das letzte Wort haben.« Sein Mund verzog sich zu einem gierigen Lächeln. Und dann werde ich einen Moment an mich selbst denken, dachte er und läutete die Glocke, die so lange Zeit im Gebrauch des Kardinals gewesen war. Beim Ruf des vertrauten Klanges erschien Toussaint Roze.
»Ich habe das Ernennungsschreiben zum Stellvertretenden Schirmherrn der Akademie der Künste nicht gesehen, über das ich mit Monsieur Le Tellier gesprochen habe. Er sollte es mir herschicken.«
»Ich erwarte es noch heute Morgen, Monsieur.«
»Gut, ich schaue es mir beim Mittagessen an. Führt jetzt meinen Besucher herein.«
Während Roze die Tür wieder schloss, warf Colbert einen Blick in den Garten und dachte, dass er sich auch darum kümmern musste, die Büsche neu anordnen zu lassen.
»Die Pflanzen wachsen so langsam, das dauert mir zu lange«, brummte er verdrießlich.
Der Anblick des von Mauern umschlossenen kleinen Parks hatte ihn an die Gärten von Vaux denken lassen. Von dort lieferten ihm seine Spione in regelmäßigen Abständen Berichte, die zu lesen er sich weigerte, so sehr versetzten sie ihn in Wut. Gerade als er seine Augen von der Vegetation abwandte, die fast noch keine Knospen trieb, öffnete sich erneut die Tür.
»Monsieur Jean-Baptiste Lully, Monsieur«, kündigte Toussaint Roze den Besucher an und zog sich zurück. Der italienische Musiker trat ein und verbeugte sich tief. Flehend streckte er Colbert seine gefalteten Hände entgegen.
»Ach, Monsieur Colbert, ich bin völlig verzweifelt!«
»Aber, aber, Monsieur«, beruhigte ihn der Intendant, von der theatralischen Geste ein wenig überrascht. »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?«
»Mit Seiner Eminenz, Monsieur Colbert, habe ich mehr verloren als einen Beschützer, einen Mäzen und die Quelle meiner Inspiration. Der Kardinal, Monsieur Colbert …«, jammerte der Italiener, dessen endlos lange Sätze, die zu schnelle Aussprache und der ausgeprägte Akzent es seinem Gegenüber nicht leicht machten, ihm zu folgen.
Colbert hob die Hand, um dem Wortschwall Einhalt zu gebieten.
»Das reicht, Monsieur, ich verstehe Euren Schmerz gut, er ist legitim, ich teile ihn ebenso wie das ganze Königreich. Zur Sache, bitte. Was fehlt Euch? Was wollt Ihr?«
Durch den direkten Ton und die Kälte, die Colbert an denTag legte, aus dem Konzept gebracht, fehlten dem Musiker einen Moment lang die Worte.
»Also …«, begann er.
Mit einer ungeduldigen Geste forderte Colbert ihn auf, fortzufahren. Wie ich sie hasse, ihn und seine Artgenossen, dachte er, während Lully
Weitere Kostenlose Bücher