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1661

1661

Titel: 1661 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Lépée
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sieben Uhr abends
    Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter dem Wald und hinterließen ein paar zartrosa Tupfer auf den Wolkenmassen, die sich am Horizont auftürmten. Louise de La Vallière sah durch das Fenster der unauffälligen Karosse, die sie in Saint-Germain abgeholt hatte, und gab sich ganz der Betrachtung des Schauspiels hin. Um die Erregung zu unterdrücken, die ihre Hände zittern ließ, hatte sie während der gesamten Fahrt, die sie über die Straße nach Meudon bis in das sumpfige Tal gebracht hatte, angestrengt die Landschaft beobachtet. Nun würden sie bald den Pavillon von Versailles erreichen. Die Miene der jungen Frau verriet Enttäuschung, als sie nach einer letzten Kurve die rechteckigen Umrisse des Gebäudes erblickte.
    »Ich hatte es mir größer vorgestellt«, sagte sie leise zu sich selbst. Dann fühlte sie, wie sie ob ihrer Kühnheit errötete, während ihr das Herz erneut bis zum Halse schlug. Das Antlitz des Königs stand ihr vor Augen, ein faszinierendes Bild, in ihren Träumen immer gegenwärtig, seit sie vor vierzehn Tagen, als sie Seiner Majestät vorgestellt worden war, das Billett erhalten hatte, das sie nicht zu beantworten wagte, dann ein zweites, dann ein drittes   … bis zu dem Rendezvous, dem sie sich nun nicht länger widersetzen konnte. »Ich werde an diesem Tag in Versailles auf die Jagd gehen und wage zu hoffen,dass Ihr mit mir in meinem geliebten Refugium, das ich von meinem Vater geerbt habe, soupiert. Wenn Ihr mir diese Ehre erweisen wollt, so findet Euch an der Abtei von Saint-Germain ein, wo eine Kutsche ab fünf Uhr für Euch bereitsteht. In der Zwischenzeit warte ich nicht auf Antwort, denn ich wage es nicht, ein ›Ja‹ von Euch zu fordern, wenn schon ein ›Vielleicht‹ genügt, um mein Herz mit Hoffnung zu füllen.« Zum hundertsten Mal rief sie sich die Worte seines Schreibens in Erinnerung. Alles, selbst das Fehlen einer Unterschrift, berührte, bewegte, ja erfreute sie und fügte der Romantik noch das Abenteuer hinzu. Sie empfand Gewissensbisse, da sie Gabriel nichts von dem Briefwechsel erzählt hatte. Er war ihr im Laufe der letzten Tage unruhig und merkwürdig abwesend vorgekommen und hatte ihr eine Antwort verweigert, als sie ihn nach dem Grund für sein nachdenkliches Schweigen fragte.
    Ein letzter Ruck der Kutsche brachte sie in die Wirklichkeit zurück, bevor sie am Ende einer kleinen, von Zypressen gesäumten Allee anhielten. Als sie das Trittbrett hinabstieg, bemerkte sie, dass es bereits völlig dunkel war.
    »Gebt acht, Madame, der Boden ist holprig«, sagte der Diener, der ihr den Weg leuchtete.
    Die Kälte ließ sie erzittern, und sie zog ihre Stola enger um Kopf und Schultern. Am Ende der Allee zeichneten sich im Laternenlicht die Umrisse des Pavillons ab. Als sie den unbefestigten Weg entlangschritt, glaubte Louise sich in ihre Kinderträume zurückversetzt. Darin war sie auch so einen Weg entlanggegangen oder gar gelaufen, bis hin zu dem Prinzen, der sie herausreißen würde aus ihrem Leben in Anjou, der sie mit sich nehmen würde – weit weg von ihrer Familie, weit weg von der so bedrückenden Wirklichkeit, deren Langeweile sie nur mit Gabriel, ihrem Vertrauten und Spielkameraden, teilen konnte. »Du, du bist ein Junge«, hatte sie zu ihm gesagt. »Dukannst fortgehen, kämpfen, dich den Piraten anschließen! Ich, ich kann nur warten.« Wie hatte sie geweint, als er eines Tages spurlos verschwunden war!
    Das Haus war nun zu erkennen. Sie sah die Reihen roter Ziegel, die sich mit den weißen Steinen aus benachbarten Steinbrüchen abwechselten.
    »Mein Gott, wie weit weg ist doch Amboise«, flüsterte sie, als sie den gepflasterten Platz betrat, der zur Eingangstreppe führte.
     
    Die Jagd war eine Enttäuschung gewesen. Sie hatte den ganzen Tag gedauert, doch am Ende war der Bock entkommen, der die vollkommen erschöpften Treiber, die verzweifelt versucht hatten, das Tier zu erlegen, zum Besten gehalten hatte. In seiner Wut darüber hatte der König der Jagdgesellschaft jäh den Rücken gekehrt und sein Pferd in gestrecktem Galopp durch das Unterholz getrieben, das zum Tal hin abfiel. Die Musketiere, die ihm nur mit Mühe folgen konnten, wurden am Eisengitter fortgeschickt. Der König verlangte unverzüglich nach seiner Kutsche und wünschte allein gelassen zu werden. Die Karosse brach nach einer Weile mit dem kompletten Gefolge auf, allerdings ohne den König, der in seinen Gemächern geblieben war, die man ihm im ersten Stock des

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