1661
»Eure Ehrlichkeit ehrt Euch. Vergessen wir die Vergangenheit, ich vergebe Euch. In Zukunft werdet Ihr Euch jedoch an die üblichen Vorschriftenhalten. Auch befehle ich Euch, von jetzt an keine Wucherzinsen mehr auf Anleihen zu erheben, die Praxis exzessiver Rabatte auf Wechsel aufzugeben und auf der Stelle alle außerordentlichen Veräußerungen und Geschäfte zu unterlassen.«
»Sire«, antwortete der Oberintendant, erleichtert über diese Worte, »ich verspreche, Eurer Majestät weiterhin mit dem größtmöglichen Fleiß und der größtmöglichen Hingabe zu dienen.«
»Um Euch einen weiteren Beweis meines Vertrauens zu geben«, sagte der junge König nun mit sanfterer Stimme, »beauftrage ich Euch, einen Außenhandelsrat zu gründen, der das Königreich befähigen soll, sich der Konkurrenz unserer Nachbarn zu erwehren. Ihr werdet gemeinsam mit Aligre, Colbert und Lefèvre d’Ormesson alle notwendigen Maßnahmen für den Aufschwung des Vaterlandes beschließen. Vergessen wir die Vergangenheit, und arbeiten wir für die Größe Frankreichs«, schloss der König und erhob sich, worauf Fouquet sich tief verneigte. »Monsieur d’Artagnan wartet auf mich, und ich bin sehr in Eile, den Achtender abzuschießen, dessen Kühnheit der Jagdmeister mir preist«, erklärte Ludwig XIV. noch, bevor er den Raum verließ und mit großen Schritten zu seiner Jagdgesellschaft eilte.
Im Flur begegnete Fouquet Lionne, der ihm von seinen Spielschulden erzählte und um erneuten Zahlungsaufschub bat. Fouquet folgte dem königlichen Vorbild, zeigte sich großzügig und gewährte ihm einmal mehr, was er verlangte. Das war das beste Mittel, dieses mächtige Ratsmitglied von ihm abhängig zu machen. Als Fouquet leichten Herzens zu seinem Arbeitszimmer zurückging, stieß er mit Colbert zusammen.
»Monsieur Colbert, wie froh ich bin, Euch zu treffen«, sprach er ihn mit heiterer Stimme an. »Seine Majestät hat mir dieGründung und die Leitung des Außenhandelsrats anvertraut. Ich habe ihm Eure Beteiligung vorgeschlagen, da ich Eure Vorliebe für die maritimen Angelegenheiten kenne. Ihr müsst wissen, dass er trotz seiner anfänglichen Bedenken wegen der schweren Pflichten, die Euch nun auferlegt sind, mir diese Bitte schließlich gewährt hat. Wir werden uns also demnächst in dieser Angelegenheit wiedersehen«, erklärte Fouquet und setzte seinen Weg fort, ohne seinem Gesprächspartner Zeit für eine Antwort zu lassen.
»Wie Ihr seht, bin ich darüber äußerst erfreut«, murmelte Colbert düster.
London, Stadtteil Westminster
Mittwoch, 16. März, neun Uhr morgens
François d’Orbay war dem Weg entlang der Themse so lange gefolgt, bis er hinter einer Flussbiegung die Umrisse des Towers ausmachen konnte. Dann war er in die Gassen eingetaucht, die von den schlammigen Kais zur Stadtmitte hin anstiegen. Der Nebel, der bereits bei seinem Erwachen den Horizont verhüllt hatte, wurde von Minute zu Minute undurchdringlicher. Er dankte mehrfach dem Himmel für seine guten Ortskenntnisse. In dem Labyrinth der engen, von hohen Holzhäusern gesäumten Straßen hätte er sich ohne die Hilfe eines Einheimischen sonst kaum zurechtgefunden. Die wenigen Lampen, welche die Schilder der Gasthäuser beleuchteten, konnte er nur als gelbliche Lichtkreise erkennen. Er senkte den Kopf und beschleunigte seine Schritte.
Zehn Jahre waren seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Er war so jung gewesen damals, fast noch ein Lehrling. So viele Dinge waren seitdem passiert. Er spürte einen Anflug von Furcht, als könnte durch die inzwischen gesammelten Erfahrungen, die Reisen, die Begegnungen, die Familie, die er gegründet hatte, offenbar werden, wie weit sich ihre Lebensbahnen voneinander entfernt hatten.
Er erwog, stehen zu bleiben und sich erneut zu orientieren, als sich plötzlich wie aus dem Nichts die Abtei vor ihm erhob. Der Nebel verbarg ihre Höhe und hüllte den größten Teildes Gebäudes ein, doch er erkannte mit Freude das eiserne Portal.
Jetzt kann der Nebel ruhig noch dichter werden, dachte er und sprang über das Gitter, nun ist er mein Verbündeter. Er nahm den Weg, der zum Kirchenportal führte, und bog dann auf den erdigen Pfad ab, der sich nach ein paar Schritten teilte und zu den Trauerweiden führte, die den Rand des Friedhofs markierten. Als er die dichte Reihe Bäume erreichte, verschwand auch er, vom Nebel verschluckt.
André de Pontbriand fröstelte, er spürte, wie die Kälte an seinen Beinen hochkroch. Hinter einem
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