1661
Ende gewonnen haben, warum der Versuch, eine despotische Ordnung zu stürzen, gescheitert ist, warum erneut ein König auf dem Thron von England sitzt? Weil die Revolution niemanden von ihren lauteren Absichten überzeugen konnte. Alles, was sie zeigen konnte, war das blutüberströmte Haupteines geköpften Mannes. Welch ein Irrtum zu glauben, dass es ausreicht, den König zu töten, statt zu erklären, weshalb die Monarchie zerschlagen werden muss … O ja, die Ungeduld derer, die gehandelt haben, verstehe ich gut: Es ist schwer, wenn man die Wahrheit in den Händen hält und sie nicht enthüllen darf. Doch wie tragisch die Aussicht, dass wir warten müssen, vielleicht weitere Jahrhunderte, auch sein mag, sie darf uns nicht länger blind machen, wir dürfen nicht länger glauben, dass wir triumphieren werden, bevor wir den Schlüssel wiedergefunden haben, der die Tür zum Geheimnis öffnet.« Das Gesicht des alten Mannes verzog sich. »Ich weiß sehr wohl, wie die Regel lautet. Ich habe so viel für sie geopfert, dass der Glaube daran, dass sie sich letztlich durchsetzen wird, vielleicht das Einzige ist, was mich noch am Leben hält …«
D’Orbay blickte verlegen drein und legte seine Hand auf den Arm des Mannes, der plötzlich verstummt war.
»Lassen wir das. Erzählt mir, was Euch zu mir führt. Ihr nehmt ein großes Risiko auf Euch, Frankreich zu verlassen und nach London zu reisen. Es besteht die Gefahr, dass Ihr dadurch einen Hinweis liefert, der zu mir führt, uns verrät und meine Tarnung auffliegen lässt. Nicht dass ich an ihr hänge, doch indem sie unseren Brüdern Geleitschutz gab, hat die Handelsgesellschaft zu viele Dienste geleistet, als dass man sie aufgeben würde. Und Ihr seid in höchster Eile gekommen, habt nicht einmal das Minimum an Sicherheitsanforderungen beachtet, was Euch gar nicht ähnlich sieht. Warum seid Ihr hier, nach zehn Jahren, François d’Orbay? Warum besucht Ihr den alten Charles Saint John, den ehrbaren, aufstrebenden Händler im Indienhandel?«
D’Orbay musste schlucken.
»Um mit Euch über bittere, alte Erinnerungen zu sprechen«, begann er mit sanfter Stimme. Dann stieß er einentiefen Seufzer aus. »Ich bin nicht wegen Saint John gekommen. Ich bin gekommen, André de Pontbriand um Rat zu fragen.«
Der alte Mann sprang auf, als wäre er von einem jäh auflodernden Feuer beseelt.
»Rührt ihn nicht an!«
André de Pontbriand hatte d’Orbays ausführlichem Bericht über die Ereignisse zunächst ruhig zugehört. Mit zusammengekniffenen Augen hatte er die Vor- und Nachteile der Lage abgewogen, die Ansichten seines Gesprächspartners von allen Seiten betrachtet, ohne seine eigene Meinung durchscheinen zu lassen. Doch als er vernahm, welche Rolle sein eigener Sohn dabei spielte, war es mit seinem Gleichmut schlagartig zu Ende. Er packte d’Orbay am Revers seines Umhangs.
»Rührt ihn nicht an, hört Ihr? Ich will ihn sehen, bringt ihn her, ich werde ihn überzeugen. Ich werde den Code wiederfinden. Ich allein vermag ihn zu dechiffrieren. Ich will ihn sehen!« D’Orbay bedeutete ihm, dass man sie hören konnte. Pontbriand nickte, ließ aber den anderen nicht los.
»Die Sache ist nicht so einfach«, verteidigte sich der Baumeister. »Ihr habt es selbst gesagt, die Risiken sind groß und unsere Feinde lauern überall. Das einzig Gute ist, dass er nichts Genaues über uns weiß.«
»Bringt ihn her«, beharrte Pontbriand. »Das ist ein Zeichen, und ich will es nicht missachten. Ich habe schon viel zu lange gewartet. Die Kerker Mazarins haben mich nicht umgebracht, aber mein verkrüppeltes Bein ist nicht die einzige Hinterlassenschaft jener Zeit. Ich bin dem Schuft nicht entkommen, um hier zu sterben, ohne dass vorher noch etwas Entscheidendes geschieht«, zischte er, und in seinen Augen lag erneut kalter Zorn. »Seit fünfzehn Jahren, François, lebe ichallein wie ein Tier. Glaubt Ihr nicht, dass ich ein Recht darauf habe, mich nützlich zu machen? Und wenn ich dabei meinen Sohn sehen kann, der ein Kind war und es in meiner Erinnerung immer noch ist – ist das ein Verbrechen?« Er ließ d’Orbay los. »Ich will das, was ich angerichtet habe, indem ich die Papiere verlor und es uns dadurch unmöglich machte, der Welt das Geheimnis zu enthüllen, dessen Bewahrer unsere Bruderschaft ist, wiedergutmachen. Ohne meine Fehler hätten es unsere Brüder vielleicht schon geschafft … Lasst mich meinem Sohn erklären, weshalb er seit fünfzehn Jahren keinen Vater
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