1663 - Insel der Schatten
erfahren hatte, die im Spiegelturm aufgenommen worden waren. Woher die Unruhe rührte, wußte niemand so recht. Und eigentlich wollte auch keiner darüber nachdenken.
Die Fremden, die auf Owigorn angekommen waren, boten enorm viel Gesprächsstoff. Es ging sogar das Gerücht um, daß einige von ihnen am Morgen in der Nähe von Droovonton gesehen worden waren.
Viel amüsanter fand Pronteros die Geschichte, die ihm aus einer anderen Hafenkneipe zugetragen worden war. Ein alter Steuermann namens Norfertus hatte sich dort angeblich vollaufen lassen und erzählt, sein Kapitän, der erfahrene Klundan, habe die „Insel der Schatten" entdeckt und sogar seinen Fuß darauf gesetzt.
Klundan war den beiden Freunden kein Unbekannter. Seine ZYNC war gestern mit gebrochenem Hauptmast im Hafen eingelaufen. Der Altvater berichtete dazu weiter, daß Klundan inzwischen spurlos verschwunden sei.
Eigentlich nahm niemand die Geschichte besonders ernst. Das galt insbesondere für die Owigos, die Klundans ZYNC mit geknicktem Hauptmast im Hafen gesehen hatten. Der alte Seemann hatte einfach Pech gehabt, vermutete auch Abillerhell. Er war wohl in einen schweren Sturm geraten. Und dann war ihm die Phantasie ein bißchen durchgegangen.
Daß etwas Ungewöhnliches auf der ZYNC vorgefallen war, bezweifelte niemand, der die zweiunddreißig geteilten Mannschaftsmitglieder gesehen hatte, die der inzwischen betrunkene Steuermann auf andere Schiffe gebracht hatte damit sie an ihren Geburtsort zurückkehren konnten. Nur dort war es ihnen ja möglich, sich wieder zu vereinigen.
Das Thema wurde nicht nur von Abillerhell und Pronteros ausgiebig diskutiert. Es machte die Runde durch den ganzen „Gevierteilten". Die meisten Seefahrer lachten laut über die Geschichte und rissen sogar Witze darüber. Einige gerieten in der Beurteilung der Sache in schweren Streit. Das war ungewöhnlich, denn in der Regel ging es hier eher ruhig und beschaulich zu.
Yoyocerl hatte genug zu tun, um die Streithähne zu trennen oder zu besänftigen. Ganz gelang ihm das nicht.
Die Unruhe, die bereits in der Stadt zu spüren gewesen war, machte auch hier nicht halt.
Plötzlich sprang ein sehr kleiner Owigo an der Theke hoch. Er bekam den Rand zu fassen und kletterte mühsam ganz auf die Fläche. „Verschwinde da oben!" brüllte Yoyocerl, der gerade auf der anderen Seite zu tun hatte. „Oder du fliegst raus!"
„Ruhe!" schrie der Kleine zurück. „Ruhe! Ihr müßt mir zuhören."
Tatsächlich erstarb das Gemurmel. Mehr amüsiert verfolgten die Anwesenden den kleinen Burschen, der wie wild vier Arme schwang. Auch Yoyocerl ließ ihn zunächst gewähren. „Ich weiß meinen Namen nicht mehr", sagte der Kleine. „Vielleicht hieß ich Hauyac. Oder so ähnlich. Ich mußte eben den Hellem-Befehl Klundans befolgen. Ja, ich komme von der ZYNC. Aber ich bin nur noch ein Viertel."
„Dann bist du hier ja richtig im >Gevierteilten <", lachte jemand dazwischen.
Sofort setzte ein schweres Gejohle ein. Der Kleine konnte sich nicht mehr durchsetzen.
Abillerhell und Pronteros sahen sich kurz an. Die Freunde verstanden sich ohne viele Worte. „Ihr laßt eure Mäuler jetzt alle geschlossen!" befahlen sie beide fast gleichzeitig. „Und laßt den Kleinen ausreden."
Jetzt erst kehrte völlige Stille ein.
Sogar Yoyocerl wagte es nicht, neue Krüge zu füllen. Wenn der Clan-Häuptling und der Altvater etwas sagten, dann mußte man gehorchen. „Danke!" rief der Kleine von der Theke. „Danke, ihr hohen Herren. Was ich sage, ist die Wahrheit. Die anderen drei Viertel von mir wurden während des Sturmes über Bord gespült.
Vielleicht können wir sie noch finden. Ich will nicht ohne sie bleiben."
Jeder der Anwesenden wußte, daß der arme Kerl keine Chance hatte, die verlorenen Teile zurückzubekommen. Was das Meer einmal verschlungen hatte, das gab es nicht mehr her.
Pronteros versuchte dem armen Burschen diese traurige Tatsache zu verdeutlichen. Trotz seiner stark verminderten Intelligenz schien er zu begreifen. Er schwieg betreten. „Du kannst uns aber einen Gefallen tun", lockte ihn der Altvater. „Man erzählt sich seltsame Sachen über deinen Kapitän, den Steuermann und die >Insel der Schatten<. Sag uns, wie's wirklich war! Dann werden wir dir helfen, deine ertrunkenen Fragmente zu finden."
Der Kleine war nicht in der Lage, den Sinn oder Unsinn der Aufforderung zu durchschauen.
Wenn die verlorenen Viertel ertrunken waren, konnte man sie nicht finden. Und selbst wenn das
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