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1665 - In der Totenstadt

1665 - In der Totenstadt

Titel: 1665 - In der Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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in die Knie.
    Die beiden Beobachterinnen hielten den Atem an. Von Shirley hörten sie nichts. Sie schauten nur zu, wie sie ihren Kopf senkte. Ihre Haare waren ebenso lang wie die von Eve. Sie fielen wie ein Vorhang vor das Gesicht und wurden dann zur Seite gestreift, weil Shirley einen freien Blick haben wollte.
    Die Frau blieb knien. Bisher hatte sie nichts gesagt. Doch jetzt war es mit ihrer Stummheit vorbei. Sie senkte den Kopf noch tiefer, erneut fiel die Haarflut nach vorn, was sie nicht weiter störte, denn sie fing an zu weinen. Dabei hob sie die Arme an und presste die Hände gegen die Ohren.
    »Gütiger Himmel, das ist schlimm«, flüsterte Jenny, »das kann man ja nicht aushalten.«
    Eve nickte nur. Sagen konnte sie nichts. Sie hielt nur die Lippen hart zusammengepresst. Aber sie zitterte am ganzen Körper, und Jenny wollte sie trösten und streichelte ihre Schulter.
    Gern hätte sie mit Shirley gesprochen, doch sie wollte so lange warten, bis sie sich wieder gefangen hatte.
    Nur das Schluchzen der Frau war zu hören. Ansonsten blieb es still. Es gab auch keinen Ghoul, der sich ihnen genähert hätte. Da war nichts zu hören und nichts zu riechen. Shirley schien in ihrer Haltung eingefroren zu sein. Sie bekam nicht mit, was um sie herum vorging, da sie sich auf die tote Freundin konzentrierte, und so sah sie auch nicht, dass sich in ihrer Nähe etwas tat.
    Auf der anderen Straßenseite und genau in der Mitte zwischen zwei blassen Lampen war eine Bewegung.
    Eve reagierte nicht darauf. Allerdings Jenny, denn sie wurde plötzlich von einem regelrechten Angstschock überfallen. Eine weitere Frau gab es hier nicht. Wenn sich dort jemand bewegte und auf ein Ziel zuging, dann konnte das nur ein Ghoul sein. Und es war ein Ghoul, denn über die Straße hinweg wehte der ekelhafte Gestank. Da Eve sich nicht rührte, stieß Jenny sie an. »Da, sieh doch, da ist einer.«
    »Ich weiß.«
    »Und?«
    »Nichts und. Wir können nichts gegen ihn unternehmen. Es tut mir leid, aber das ist so.«
    »Dann wird er sie töten.«
    Eve schüttelte den Kopf, und Jenny wusste nicht, was sie noch tun sollte. Die Woge des Gestanks wehte auf sie zu. Sie kam intervallartig und raubte ihr den Atem. Dann sah sie, dass der Ghoul die letzten Meter hinter sich ließ, und sie erkannte, dass er etwas zwischen seinen Händen hielt. Es war ein Band, und sie sah auch, dass es eine rote Farbe hatte.
    Für sie stand fest, dass er damit Shirley erwürgen würde. Er wollte zwei Leichen haben. Er wollte sie vertilgen, um seinen Hunger zu stillen, aber Jenny irrte sich. Der Ghoul tat etwas ganz anderes. Er hob seinen rechten Fuß an, trat dann kurz, aber kräftig zu und erwischte den Kopf der knienden Shirley.
    Die Frau hatte den Tritt nicht kommen sehen. Sie hatte sich auch nicht darauf einstellen können und flog zur Seite wie eine übergroße Marionette. Als sie aufprallte, war ein leiser Schrei zu hören, um den sich der Leichenfresser nicht kümmerte. Er hatte etwas anderes vor, und das zog er gnadenlos durch. Ein Opfer lag vor ihm. Seine Nahrung. Und um die musste er sich kümmern. Was in seiner Umgebung passierte, interessierte ihn dabei nicht. Jenny Mason spürte etwas in sich aufsteigen, von dem sie nicht begriff, was es war. Möglicherweise so etwas wie ein Widerstandswille. Sie hatte es gelernt, anderen Menschen beizustehen, wenn sie sich in Not befanden. Das hatte sie immer so gehalten, und das sollte sich auch jetzt nicht ändern. Sie konnte nicht einfach zuschauen, wie sich der Ghoul über die Tote hermachte.
    Das war unmöglich. Das konnte nicht sein. Er war ein Kannibale, und bei diesem Gedanken wurde ihr schlecht.
    »Ich muss etwas tun!«, keuchte sie.
    »Nein, das kannst du nicht.«
    »Doch!« Jenny hatte sich entschlossen und auch Eves harter Griff an ihrem linken Arm konnte sie nicht aufhalten. Sie schüttelte ihn kurzerhand ab und lief auf den Ghoul zu…
    ***
    Die Strecke bis zum Ziel mochte nicht mehr weit sein, aber sie führte durch einen Wald, und der war mit zahlreichen Hindernissen gespickt. Querstehende Äste und Zweige wollten uns immer wieder aufhalten. Obwohl das Licht der Lampen uns den Weg wies, war das Weiterkommen durchaus problematisch.
    Die Lichter tanzten vor uns her, und sie wiesen auch Harold Fuller den Weg, der die Führung übernommen hatte. Immer wieder musste er sich ducken, Hindernissen ausweichen, aber wir befanden uns auf dem richtigen Weg, wie er uns hin und wieder durch Gesten klarmachte.
    Dann rochen wir

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