1668 - Wolfsnacht
schlichten Stufen. Ein Geländer war ebenfalls vorhanden. Es sah sogar recht neu aus.
»Ihr Fahrrad ist da«, sagte ich. »Weiß ich, John. Ich habe es gesehen.«
»Wolltet ihr euch denn in der Mühle treffen oder vor ihr?«
»Das haben wir nicht besprochen. Als Treffpunkt wurde nur die Mühle angegeben.«
Suko drehte sich auf der Stelle. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie uns versetzt hat.«
»Warten wir es ab, Suko. So schlecht ist dieser Platz hier ja auch nicht.«
Alles wurde anders, als wir über uns ein Geräusch hörten. Es war nicht genau zu identifizieren. Als gefährlich stuften wir es nicht ein, und das sollte sich auch bewahrheiten, denn wenig später hörten wir über unseren Köpfen am Ende der Stiege etwas. Dann sahen wir zwei Beine, die in einer Hose steckten, und wenig später erschien eine junge Frau auf der Treppe, die zwar weiterging, aber auf der drittletzten Stufe stehen blieb und uns anschaute. Wobei sie den Blick von einer Seite zur anderen schwenkte.
Da Suko mit ihr telefoniert hatte, überließ ich ihm den Vortritt. Er nickte der jungen Frau zu, lächelte dabei und sagte: »Wir beide haben miteinander telefoniert. Ich bin Inspektor Suko und das ist mein Freund und Kollege John Sinclair. Sie müssen demnach Helen Winter sein.«
»Ja, das bin ich.«
Ich schätzte Helen Winter auf Anfang zwanzig. Ihr braunes Haar war mittellang und in der Mitte gescheitelt. Eine Strähne hatte sich gebogen und hing der Frau in die Stirn. Ihr Gesicht war ziemlich hübsch und in ihren Augen blitzte so etwas wie ein Wille, sich so leicht nicht unterkriegen zu lassen.
Erst langsam verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. Dann sagte sie mit leiser Stimme: »Danke, dass Sie beide gekommen sind.«
»Sie klangen am Telefon sehr ehrlich«, meinte Suko.
»Das bin ich auch.«
»Dann gibt es den Werwolf tatsächlich?«, fragte ich.
»Ja, ja, der existiert. Und zwar nicht in meiner Einbildung. Ich habe ihn genau gesehen.«
»Gut. Dann würde ich vorschlagen, dass sie uns alles noch mal von Beginn an erzählen…«
***
Dagegen hatte Helen Winter nichts einzuwenden. Sie sah sogar erleichtert aus, als sie den Rest der Treppe hinter sich ließ und auf einem Schemel Platz nahm. Sie legte die Hände zusammen und wartete, bis auch ich mich gesetzt hatte. Noch einmal wischte sie über ihre Stirn und sammelte sich. Dann fing sie an zu erzählen, und sie sprach recht langsam.
Wir erfuhren von der ersten Begegnung mit einem Mann, der plötzlich auf dem Weg stand. Da war ihr komisch geworden. Aber es ging weiter. Der Mann verschwand, kehrte aber wieder zurück, sprang auf sie zu und verwandelte sich in diesen Werwolf.
»Da dachte ich, dass ich lebend nicht mehr wegkommen würde. Bis der Pfiff erklang und der Werwolf verschwand.«
»Zum Schloss hoch?«, fragte Suko.
»Ich gehe davon aus. Sicher bin ich mir nicht.«
»Und weiter?«
»Ich bin dann fluchtartig nach Hause gefahren und habe überlegt, was ich tun soll. Meine Eltern waren auf einer Feier. Aber sie hätten mir sowieso nicht geglaubt. Dann bin ich auf den Gedanken gekommen, Scotland Yard anzurufen.«
Suko hob einen Arm. »Moment, Helen. Zuvor ist noch etwas passiert.«
»Ja.« Sie rieb ihre Handflächen über den Stoff der Jeans. »Er ist zurückgekommen. Er war plötzlich auf unserem Grundstück. Er ist sogar durch das Fenster in mein Zimmer geklettert.« Ihre Stimme wurde jetzt hektisch. »Er hätte mich bestimmt angegriffen, aber dann hörte ich die Stimme einer Frau, und die holte den Werwolf zurück. So war ich gerettet.«
Die Geschichte hörte sich stark an, allerdings auch etwas fantastisch. Dennoch glaubte ich ihr und nickte ihr zu. »Das war interessant, Helen. Haben Sie uns sonst noch etwas zu sagen?«
»Nein, Mr Sinclair. Mehr habe ich nicht erlebt. Es hat mir auch gereicht.«
Das konnten wir gut nachvollziehen.
»Können Sie sich vorstellen, woher diese Gestalt gekommen ist? Haben Sie da eine Idee?«
Helen Winter schaute mich länger an. Sie hob die Schultern und fragte mit leiser Stimme: »Haben Sie beim Herkommen vielleicht das Schloss gesehen?«.
»Klar, das war nicht zu übersehen.« Ich fragte sie: »Meinen Sie, dass die Bestie von dort gekommen ist?«
»Ja, das glaube ich.«
Mein Blick glitt zu Suko, der nur die Schultern hob. Er wollte mich reden lassen.
»Dann ist das Schloss also bewohnt?«
»Ja, seit Kurzem.«
»Von wem?«
Helen hob die Schultern. »Das ist alles so eine Sache. Eine genaue Antwort kann
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