1668 - Wolfsnacht
auch wieder. Aber sie wissen auch, dass es höllisch gefährlich sein kann.«
Ich winkte ab. »Keine Sorge, das sind wir gewöhnt. Sie haben sich durch Ihren Anruf wirklich an die Richtigen gewandt. Auf die Familie Baranov sind wir gespannt.«
»Soll ich hier warten?«
»Nein, Helen. Gehen Sie zurück ins Dorf. Warten Sie in Ihrer Wohnung oder in Ihrem Haus und sagen Sie uns bitte, wo wir Sie finden können.«
»Windmill Way.«
»Windmühlenweg.« Ich nickte. »Und wo da?«
»Es ist das letzte Haus.«
»Okay, dann werden wir Sie finden. Sie sagten, dass Sie Ihre Eltern nicht eingeweiht haben?«
»Ja. Meine Eltern wissen von nichts. Und ich möchte auch weiterhin den Mund halten.«
»Das hätten wir Ihnen auch vorgeschlagen. In Fulmer soll niemand erfahren, was Sie erlebt haben. Zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht.« Ich wollte noch wissen, ob von hier aus ein Weg zum Schloss hoch führte.
»Ja, den gibt es. Der ist nur kaum zu erkennen, weil er zugewachsen ist. Ich kann Ihnen den Weg aber zeigen.«
»Einverstanden, Suko?«
»Ja.«
Wir erhoben uns. Als ich in Helens Gesicht schaute, stellte ich fest, dass sie wieder besser aussah. Sie hatte sich gefangen. Das Gespräch mit uns hatte ihr gut getan.
»Meinen Sie denn, dass Sie es schaffen?«, fragte sie leise.
»Bestimmt.«
So sicher, wie sich die Antwort angehört hatte, war ich nicht, aber das musste Helen ja nicht wissen.
Suko näherte sich der Tür. Helen ging neben mir her. Sie lachte und meinte: »Jetzt wird ja wohl nichts passieren.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wir haben helllichten Tag.«
»Richtig.«
Suko ging bereits nach draußen. Sie aber blieb noch mal stehen. Auf ihrem Gesicht war plötzlich ein ängstlicher Ausdruck. »Darf ich Sie noch was fragen, Mr Sinclair?«
»Bitte.«
»Was hätte diese Gestalt mit mir angestellt, wenn sie mich in ihre Gewalt bekommen hätte?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie schaute mich skeptisch an. »Wissen Sie es nicht, oder wollen Sie es mir nur nicht sagen?«
»Sorry. Ich weiß es wirklich nicht. Wenn Sie der Gestalt in die Hände gefallen wären, als sie noch menschlich war, könnte ich mir andere Dinge vorstellen als in diesem anderen Zustand. Sie ahnen, was ich damit sagen will?«
»Ja, ja, schon.« Plötzlich bekam sie eine Gänsehaut, sah mich an und blickte sofort wieder zur Seite.
Suko hatte nach dem Verlassen der Mühle die Tür nicht wieder geschlossen. Sie stand so weit offen, dass wir hinausgehen konnten. Der Tag war noch schöner geworden. Die Sonne stand hell am Himmel und blendete mich beim Heraustreten. Ich sah automatisch dorthin, wo unser Wagen stand. Da würde Suko sich aufhalten. Nur sah ich ihn dort nicht.
»Wo ist denn Ihr Partner?«, fragte auch Helen.
»Nun ja, er wird schon im Wagen sitzen.« Ich nickte ihr zu. »Ich schaue mal nach.«
»Ja, tun Sie das.«
Ich ahnte noch immer nichts Böses, und auch meine Begleiterin war ohne Arg. Die Gefahr lauerte über mir. Dort verlief eine Galerie, das hatte ich beim Herkommen gesehen.
Und von dort fiel etwas auf mich herab.
Ich verspürte einen Luftzug, hörte ihn sogar, wollte mich umdrehen und kam nicht mehr dazu.
Etwas erwischte meinen Nacken. Ich dachte noch an einen gefüllten Mehlsack und dann an gar nichts mehr…
***
Helen Winter stand auf der Stelle und begriff nicht, was vorgefallen war. Sie sah John Sinclair zu Boden fallen. Sie sah, wie er auf den Bauch schlug, die Arme vorstreckte und liegen blieb. Und sie sah, was ihn im Nacken getroffen hatte. Es war tatsächlich ein Mehlsack gewesen, und der war aus der Höhe nach unten geworfen worden. Als sie sich bewegen konnte, ging sie zur Seite. Noch immer konnte sie sich nicht vorstellen, was da geschehen war - bis zu dem Zeitpunkt, als sich ein Körper von der Galerie löste.
Dicht neben Helen erreichte er den Boden, sackte für einen Moment in die Knie und richtete sich wieder auf.
Der Schrei blieb der Frau im Hals stecken, als sie sah, wer da neben ihr stand. Es war der Typ von gestern Abend. Der Mensch, der sich so schnell verwandelt hatte. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr entkommen. Er stand zu dicht bei ihr und grinste sie an. Er hatte einen breiten Mund, der durch das Grinsen noch breiter wirkte. Auf seiner Haut im Gesicht wuchsen dunkle Barthaare. So jedenfalls sah es aus. In Wirklichkeit sprossen dünne Fellhaare hervor. Sein Gesicht war offenbar dabei, sich in eine Werwolffratze zu verwandeln.
Er streckte ihr seinen rechten Arm entgegen. Seine Hand wollte
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