1668 - Wolfsnacht
damit, dass im nächsten Moment Igor Baranov das Zimmer betrat. Wie überrascht war sie, als eine fremde Person den Raum betrat. Es war eine Frau. Sie zog die Tür nicht wieder zu und baute sich mit vor der Brust zusammengelegten Armen in der Öffnung auf. Sie lächelte, nickte der Gefangenen zu und sagte mit leiser Stimme: »Ich denke, dass wir uns mal unterhalten sollten, Helen…«
***
Helen gab keine Antwort. Sie war einfach zu überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Frau war etwa in ihrem Alter. Vielleicht ein wenig älter. Nur wuchs auf ihrem Kopf eine wilde rotbraune Mähne, die leicht glänzte.
Viel Haar für das Gesicht mit dem breiten Mund und den hochstehenden Wangenknochen. Zwei Augen, die ungewöhnlich waren, fielen Helen ebenfalls auf, aber noch etwas anderes kam ihr in den Sinn.
Sie hatte das Gefühl, dass es zwischen dieser Frau und Igor eine gewisse Ähnlichkeit gab. Irgendwie glichen sich beide, und plötzlich wusste sie Bescheid. Sie waren Geschwister!
Das behielt sie für sich. Zudem tauchte ein anderer Gedanke auf. Sie setzte eine gewisse Hoffnung darin, dass eine Frau der anderen nicht so leicht etwas tat. Als Komplizinnen wollte sie das Verhältnis nicht sehen, doch ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb.
»Ich bin übrigens Elena«, sagte die Fremde, bevor sie zu einem Stuhl ging, ihn anhob und ihn so hinstellte, dass sie Helen im Sitzen anschauen konnte.
»Meinen Namen kennst du.«
»Ja.« Elena setzte sich bequemer hin und schlug ein Bein über das andere. Sie trug eine Hose aus dünnem grauen Leder und als Oberteil einen schwarzen Pullover, dessen Saum an den Hüften endete.
Elena lächelte, und es kam Helen nicht unbedingt feindlich vor. Sie traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Sie wollte erst hören, was Elena ihr zu sagen hatte.
»Helen, du siehst gut aus.«
Mit dieser Eröffnung hatte die Angesprochene nicht gerechnet. Sie wurde sogar leicht rot im Gesicht und sagte: »Nein, ich sehe alles andere als gut aus. Das kann ich gar nicht. Nicht in einer Lage wie dieser.«
Elena ging nicht darauf ein. Sie sagte: »Ich kann verstehen, dass mein Bruder dich ausgesucht hat.«
Helen hatte jedes Wort gehört und fühlte sich, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen.
Ausgesucht!
Das tat man mit einer Ware, aber nicht mit einem Menschen, das war einfach schlimm, so etwas hören zu müssen, und ihr wurde bewusst, dass diese Person nicht auf ihrer Seite stand.
»Was soll das heißen?«
»Hast du mich nicht verstanden?«
»Nein, habe ich nicht. Ich möchte nicht ausgesucht werden.«
»Aber es stimmt. Man hat dich ausgesucht, damit du einen bestimmten Zweck erfüllst.«
Helen schüttelte leicht den Kopf und hauchte: »Was soll das bedeuten?«
»Es ist ganz einfach, Helen. Du gehörst jetzt zu uns.«
»Nein!«
»Doch! Du bist eine von uns, und ich kann dir sagen, dass du eine sehr wichtige Person bist. Du hilfst unserer Familie dabei, weiterhin zu existieren.«
Helen saß noch immer auf der breiten Bettkante. Sie beugte sich jetzt vor und tippte mit der Fingerspitze gegen eine Stelle an der Brust dicht unter dem Kinn.
»Ich soll das möglich machen?«
»So haben wir es vorgesehen.«
»Und wie?«
»Indem du uns ein Kind schenkst, das mein Bruder noch heute mit dir zeugen wird…«
***
Jetzt war es heraus, und es hatte Helen die Sprache verschlagen. Eigentlich konnte sie nicht antworten, sie sagte trotzdem etwas, aber sie verstand die eigenen Worte nicht.
»Hast du mich verstanden?«
Helen nickte.
Sofort danach hörte sie die weitere Frage. »Und? Hast du damit gerechnet?«
»Nein.«
»Es sollte auch eine Überraschung sein«, redete Elena im Plauderton weiter. »Wir haben Igor die Wahl gelassen, und ich muss sagen, dass er keine schlechte Wahl getroffen hat. Er hat dich schon gestern Abend holen wollen, aber dagegen hatte ich etwas. Ich konnte ihn beobachten und habe ihn sicherheitshalber zurückgepfiffen. Aber nun bin ich mit seiner Wahl einverstanden.«
Helen wollte es nicht akzeptieren, dass ihr Schicksal so verlief. Sie schüttelte den Kopf, sie lachte auf, obwohl es nichts zu lachen gab. »Das ist unmöglich. Ich kann nicht bei euch bleiben und für euch ein Kind austragen.«
»Doch, das kannst du und das wirst du auch, Helen. Wir lassen dich nicht mehr aus den Augen und werden es auch nicht zulassen, dass du uns verlässt, um dein Kind abzutreiben. Nein, da Wirst du dich schon nach uns richten müssen. Ich sage dir jetzt, dass du aus der
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