1668 - Wolfsnacht
nicht mal, ob wir es bei ihm wirklich mit einem Werwolf zu tun hatten, der momentan in seiner menschlichen Gestalt lebte. Sicher war, dass er nicht allein lebte. Er hatte seine Familie oder Sippe mitgebracht. Wie groß die Anzahl der Mitglieder war, wussten wir nicht, aber das war im Moment auch nicht so wichtig. Die große Zeit der Werwölfe war sowieso vorbei. Es gab keinen Lupina mehr und auch nicht deren Sohn Luparo oder Orapul. Selbst von einer Morgana Layton hatte ich in der letzten Zeit nichts gehört.
Vielleicht sollte sich das ändern, damit die alten Zeiten zurückkehrten, doch so genau konnte es wohl niemand sagen. Die Baranovs waren aus Bulgarien eingewandert. Den Grund kannten wir nicht. Es konnte sein, dass man sie von dort vertrieben hatte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und sagte: »Wir sollten uns eine Zeitspanne setzen, bevor wir einen neuen Versuch starten.«
»Wie willst du vorgehen?«
»Nicht mehr so offen.« Ich deutete auf die Rückseite des Schlosses. »Kann sein, dass wir dort mehr Glück haben.«
»Ich bin dabei.«
»Gut. Wie lange?«
Suko zeigte mir fünf Finger, und ich war damit einverstanden. Wenn man wartet, vergeht die Zeit gefühlt langsamer als sonst. Das war auch bei uns nicht anders, aber die Zeitspanne mussten wir gar nicht abwarten, denn an dem alten Gemäuer tat sich etwas. Wo genau die Person es verlassen hatte, war für uns nicht erkennbar gewesen, aber sie war da und bewegte sich nahe des Gemäuers weiter.
»John, wenn mich nicht alles täuscht, haben wir es hier mit einer Frau zu tun.«
»Bitte?«
Suko schaute noch mal hin. Ich wusste von der Schärfe seiner Augen und konnte mich auf ihn verlassen. Seine Worte hatten mich mehr als neugierig gemacht. Nach einigen Sekunden hatte ich die Person auch als Frau erkannt. Sie war dunkel gekleidet. Ihre langen Haare fielen auf, und selbst auf diese Entfernung erkannten wir, dass sie sich recht geschmeidig bewegte.
»Wer kann das sein?« Ich hatte mehr zu mir selbst gesprochen, war aber von Suko gehört worden.
»Eine Frau, eine Tochter, die weibliche Chefin der Sippe. Da könnte viel passen.«
»Ja, das ist möglich.«
Wahrscheinlich hatte sie uns noch nicht gesehen. Aber sie bewegte sich weiterhin in unsere Richtung, drehte ihren Kopf aber mal nach rechts oder links, um sich dort zu orientieren, ob sich in diesen Richtungen irgendetwas tat.
»Die weiß Bescheid und spielt uns was vor«, sagte Suko. »Wir sollten uns mal zeigen.«
»Wie du willst!«
Wir schnellten hoch, blieben stehen und waren nicht zu übersehen. Die Unbekannte ging noch weiter, doch ihre Schritte wurden immer kürzer. Dann blieb sie stehen und schaute uns entgegen, denn wir nahmen den direkten Kurs auf sie. Die Frau ließ uns kommen. Wir sahen sie inzwischen deutlicher. Ihr Haar zeigte eine rötliche Tönung.
Ich achtete auf mein Kreuz, das von der Kleidung verdeckt wurde. Es tat mir nicht den Gefallen, sich zu melden. Es gab keine Wärme ab. Die Person schien harmlos zu sein. Darauf verlassen wollte ich mich nicht, sondern stellte mich auf Überraschungen ein. Das hatte uns in der Vergangenheit immer sehr geholfen. Die Frau gab sich selbstsicher. Sie stemmte die Hände der angewinkelten Arme in die Hüften. Der Wind spielte mit ihrem langen Haar und legte immer wieder das Gesicht frei.
Es war kein schönes Frauengesicht. Aber schon ein interessantes. Hochstehende Wangenknochen. Dazu kamen die Augen mit den hellen Pupillen und der breite Mund mit den vollen Lippen, der uns mit einem leicht amüsierten Lächeln begrüßte. Ich dachte noch darüber nach, wie ich sie ansprechen sollte, als sie schon zu reden begann.
»Sie haben meinen Vater besucht.«
»Stimmt.« Suko nickte ihr zu.
»Und was wollten Sie von ihm?«
»Ihm eine Frage stellen.«
Sie nickte. »Und worum ging es dabei?«
Jetzt sprach ich. »Das werden wir ihm selbst sagen.«
Sie winkte ab. »Hören Sie auf. Er ist ein alter Mann. Ich kann Ihnen da bessere Auskünfte geben.«
Wenn sie uns schon mal den Vorschlag machte, warum nicht? Ich griff ihn auf und blieb weiterhin freundlich.
»Es geht um eine Frau, die wir suchen. Sie ist noch recht jung. Knapp über zwanzig. Sie heißt Helen Winter.«
»Aha.«
»Können Sie uns helfen, sie zu finden?«
Die Frau dachte nur kurz nach. »Nein«, sagte sie dann, »das glaube ich nicht. Ich denke mal, dass diese Frau aus einem der nahen Orte hier in der Gegend stammt.«
»Sie kommt aus Fulmer.«
»Das habe ich mir gedacht. Und da wir
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